Schwarze Heimkehr
sie sich um. »Lew, wie haben sie dieses Wunder zustande gebracht?« Er spreizte die Finger seiner Hände. »Wunder sind ihrer Definition nach nicht zu erklären.«
»Stimmt. Aber im Ernst: Wie haben sie es geschafft?« Er starrte sie schweigend an.
Ihre smaragdgrünen Augen studierten seinen Gesichtsausdruck. »Okay. Die Zeit läuft. Wenn wir die Blutvergiftung nicht unter Kontrolle bekommen, wird sie in ein paar Tagen daran sterben. Und je länger sich die Sepsis hinzieht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir sie nicht in den Griff bekommen. Sagen sie den Freunden ihres Spenders, daß ich etwas Zeit brauche, um die Antigenbefunde der Unterlagen zu verifizieren. In einer Hinsicht haben wir Glück. Normalerweise müßte ich bei Rachel vor der Transplantation eine Gewebeuntersuchung der Niere, eine Biopsie, vornehmen, aber in diesem Fall müssen wir darauf verzichten. Ihr Zustand ist zu kritisch, um zwei Eingriffe zu riskieren. Das ist jetzt ein Pluspunkt, weil wir Zeit sparen. In dem Augenblick, wo das Organ freigegeben wird, legen wir los.«
»Okay«, sagte Croaker. Er spürte, daß seine Erleichterung durch die Empfindung abgelöst wurde, hinter ihm fiele eine Stahltür ins Schloß. Er würde Majeur anrufen und in dieses furchtbare Abkommen einwilligen. Um Rachels willen mußte er diese Niere haben. Er würde sich verpflichten, Juan Garcia Barbacena zu töten, wenn dieser sich morgen kurz nach Mitternacht in Schußweite befand. Eines war sicher: Der Teufel saß ihm im Nacken, und die Frage war, ob er ihn je wieder loslassen würde.
Er beobachtete sich selbst wie in einem Traum oder einem von Bennies Drogenräuschen, als er das Telefon auf dem Schreibtisch heranzog und Majeurs Privatnummer wählte. Er hörte die Stimme des Rechtsanwaltes auf dem Anrufbeantworter und hinterließ eine Nachricht und die Nummer seines Mobiltelefons.
»Ich muß auf den Rückruf warten.«
»Okay«‚ sagte Jenny. »Im Augenblick können wir hier sowieso nichts mehr tun.« Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. »Das war mein Magen, der um etwas Eßbares bittet. Jetzt bitte ich Sie: Beschaffen sie mir was zu essen. Bitte.«
Als sie den Parkplatz des Restaurants erreicht hatten, hatte es zu regnen begonnen, aber es war kein einfacher Regen, sondern ein tropischer Sturzguß, der den Himmel sogar am hinteren Ende des Intracoastals verdunkelte. In Südflorida konnte man nie davon ausgehen, daß der Regen tröpfchenweise fiel. Hier brachen die Regengüsse wie eine Wasserwand aus den niedrig dahinziehenden Wolken hervor.
Das Harbor Lights befand sich östlich der Flagler Memorial Bridge. Geographisch war das Lokal nicht weit von Mattys Wohnung entfernt, aber in einer anderen Hinsicht schien es sich am anderen Ende der Stadt zu befinden: Palm Beach war eine Oase für alteingesessene Reiche und dieses Restaurant einer der wenigen Zufluchtsorte für junge Menschen. Das Lokal war nach dem Platters-Hit aus. den sechziger Jahren benannt worden, und die Musik, die dort gespielt wurde, stammte aus demselben Jahrzehnt, das nun wieder in Mode war. Croaker suchte in der hinteren linken Ecke des Parkplatzes eine Lücke und stellte den Motor ab. Er saß eine Zeitlang da und blickte auf den regenüberströmten Parkplatz, während Scheinwerferlichter über den glänzenden Asphalt Strichen. Die Menschen hasteten zu ihren Autos oder verließen ihre Wagen eilig und kämpften mit gebeugtem Oberkörper gegen den Sturm an.
»Sie scheinen weit weg zu sein.« Croaker nahm den schwachen Zitrusduft von Jennys Parfüms wahr. »Woran denken Sie?«
Er drehte den Kopf zu ihr. Es war gleichzeitig seltsam und angenehm, sie an seiner Seite zu wissen. »Ich habe an all die Versprechen gedacht, die ich gegeben und eingehalten habe, aber keines scheint so wichtig gewesen zu sein wie das Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe - Rachel zu retten.«
Im Lokal ließ ihn der plötzliche kalte Luftschwall der Klimaanlage frösteln. Eine Bedienung, die ganz aus gebräunten Beinen und Armen zu bestehen schien, geleitete sie durch das zweistöckige, holzgetäfelte Restaurant. Die Küche, die sich zu seiner Rechten befand, war von hier aus einsehbar. Zwischen den Dampfwolken blitzten Geräte aus rostfreiem Stahl. Die überfüllte Bar war rechts. Aus den Boxen drang »See You in September« von den Happenings, und das erinnerte Croaker an die heißen Sommernächte seiner Jugend und an die noch heißeren Mädchen. mit ihren ärmellosen Blusen und den engen
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