Schwarze Heimkehr
befindet. Ich kenne Dr. Marsh’ Ruf, sie ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Wenn es überhaupt einen Weg gibt, Ihre Nichte zu retten, dann wird sie ihn finden. Aber wenn die Situation so aussieht, wie sie sie beschrieben haben ….« Er seufzte. »Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie, Mr. Croaker, aber im Augenblick glaube ich nicht, daß irgend jemand etwas anderes tun kann, als um ein Wunder zu beten.«
Croaker dankte dem Arzt und beendete das Gespräch. Er wählte eine örtliche Nummer und gab seinen Zugangscode der Anti-Cartel Task Force ein. Als freier Mitarbeiter, der keine offiziellen Verbindungen zur ACTF hatte, gab man ihm jedesmal, wenn er angeheuert wurde, einen zeitlich begrenzten Code. Offensichtlich funktionierte der vom letzten Job noch, denn er kam durch. Er tippte die Nummer von Wade Forrests Nebenanschluß.
Croaker hatte früher schon mit Forrest bei der ACTF zusammengearbeitet. Forrest hatte einen ziemlich hohen Posten innerhalb der Organisation inne und war auf der Karriereleiter weiter auf dem Weg nach oben. Im Gegensatz zu Croaker, der nur sporadisch angeheuert wurde, war Forrest durch und durch ein Karrieretyp. Obwohl er nur für einen bestimmten Auftrag von Washington nach Miami gekommen war, hatte er sich - wie Croaker - entschieden zu bleiben. Croaker mochte Forrest nicht gerade - er war laut, anmaßend und irgendwie tyrannisch -, aber er respektierte ihn, weil Forrest loyal war. Das erste, was Croakers Vater ihm hinsichtlich des Polizeidienstes beigebracht hatte, war, daß Loyalität das einzige ist, was man weder kaufen, leihen noch stehlen konnte.
Forrest schien nicht im Büro zu sein, aber das war nicht weiter überraschend. Wahrscheinlich hielt er sich irgendwo vor Ort auf. Überraschend war nur, daß sich am anderen Ende überhaupt niemand meldete. Soweit Croaker wußte, waren die Büros der ACTF vierundzwanzig Stunden am Tag besetzt. Und tatsächlich hatte er den Eindruck, ein entferntes Klicken und Schwirren gehört zu haben, das er einer automatischen Gesprächsvermittlung zugeschrieben hatte. Aber vielleicht hatte er sich das nur eingebildet, weil er einen Augenblick später Wade Forrests aufgezeichnete Stimme hörte, die ihn durch das standardisierte Voice-Mail-Menü führte. Er hinterließ eine Botschaft der höchsten Dringlichkeitsstufe. Vielleicht, aber nur vielleicht, hatte Forrest ja Beziehungen zur UNOS, der United Network of Organ Sharing. Aber er mußte mit ihm sprechen, um das herauszukriegen.
Er hatte die Verbindung eben unterbrochen, als Bennie zurückkam. Sein Freund trug eine kleine Tasche mit Reißverschluß.
»Okay, Bennie. Du solltest langsam mal die Karten auf den Tisch legen.«
Bennie nickte. »
Buen
o
.
« Er ließ die Zigarre sinnierend zwischen seinen Lippen hin- und hergleiten. »Zeit und Ort, Lewis. Das ist in meinem Geschäft das Wichtigste.« Er beugte sich vor, verstaute die Tasche, löste gewandt das Tau und sprang ins Boot. »
Andale, muchacho
«‚ sagte er. »Wir haben auf dem Atlantik was Wichtiges zu erledigen.«
Während Croaker ins Boot stieg, beeilte sich Bennie, das Tau am Bug loszumachen. Dann ging er in das niedrige Führerhäuschen zurück und warf die kraftvollen Motoren an. Man hörte ein heiseres Krachen‚ und während der Auspuff eine Wolke bläulichen Dieselrauches ausstieß, steuerte Bennie das Boot auf den Intracoastal hinaus.
Die Partylichter von Miami Beach zogen vorüber. Auf der linken Seite sah Croaker eine lange Reihe weißer Limousinen, die die Gäste einer festlichen Hochzeitsparty ausspien, welche in der gigantischen Vorhalle des Eden-Roc-Hotels verschwanden. Blitzlichter flackerten wie Sonnenflecken auf, und es gab einen wilden Beifallssturm, als die Braut vor den knienden Fotografen Pirouetten um den grinsenden Bräutigam aufführte.
Diese Frau, die wie ein Model aussah und in glänzendes weißes Satin und Organza gehüllt war, erinnerte Croaker wieder an Sonia. Er hatte die fürchterliche Vision, daß der Kopf der Braut wie ein fröhlich gestreifter Wasserball die Treppe des Eden-Roc-Hotels heruntersprang, während die Blitzlichter wie ein Kanonenhagel prasselten. Er atmete tief durch und wandte den Blick ab.
Bennie drehte das Boot steuerbord und fuhr mit gedrosselter Geschwindigkeit auf die Stelle zu, wo man in die Biscayne Bay einbiegen konnte. Wenn man sich so weit südlich befand, mußte man durch die Bucht fahren, um zu dem Kanal zwischen der Spitze von Miami Beach und Fisher Island zu
Weitere Kostenlose Bücher