Schwarze Heimkehr
nachdem er sie erstickt hatte? Wir wissen, daß er sie nicht im Haus enthauptet hat.«
»Da waren diese beiden parallelen Spuren im Gras«‚ sagte Bennie. »Mal angenommen, er hat sie nach draußen gezerrt und es da getan?«
Croaker schüttelte den Kopf. »Wir haben uns draußen doch umgesehen. Außer diesen beiden parallelen Spuren haben wir nichts entdeckt. Kein Blut, keine Eingeweide, keinerlei Hautfetzen oder Knochenteile. Außerdem wäre es draußen zu riskant gewesen. Er hätte von einem Nachbarn oder einem Passanten gesehen werden können.«
»Was zum Teufel ist dann passiert?« fragte Bennie.
»Keine Ahnung.« .
Croaker wurde plötzlich von der Erinnerung an Sonias überraschten und glücklichen Gesichtsausdruck überwältigt, als sie gemeinsam auf der Tanzfläche der Shark Bar Merengue getanzt hatten. Etwas in ihm wunderte sich darüber, mit welcher Ruhe er die Ereignisse der letzten Stunden analysierte. Ein anderer Teil seines Ichs schämte sich dafür.
Bennie mußte einen leisen Verdacht hinsichtlich dessen gehabt haben, was geschehen war. Aber er behielt es für sich. Croaker wandte sich ab. Er atmete tief durch, lehnte sich an die Balustrade und beobachtete ein weißes Fischerboot, das das dunkle, murmelnde Wasser des Intracoastals durchpflügte. Als es vorbeifuhr‚ schlugen die Wellen seines Kielwassers gegen die hölzernen Pfeiler, so daß das Boot an seiner Anlegestelle ins Schaukeln geriet.
Croaker dachte an Stone Tree. Dessen Silhouette zeichnete sich in seinen Gedanken vor einem limonen- und orangefarbenen Sonnenuntergang ab, den es nur in den Florida Keys gibt. Der Seminole stand hinten in einem kleinen Boot, das er zwischen den Mangroveninselchen hindurchmanövriert hatte. Siehst du es? fragte er. Croaker glaubte, daß er begriffen hätte, aber es war nicht so. Ich sehe gar nichts, antwortete er. Es wird dunkel. Doch Stone Tree hatte gesagt: Für mich nicht und Croaker damit alles mitgeteilt, was er wissen mußte.
Der Arzt kam aus Bennies Haus. Er schritt die Marmorstufen hinab und gesellte sich zu ihnen. »Maria ruht sich jetzt aus«‚ sagte er auf spanisch. »Sie hat offensichtlich Schlimmes durchgemacht.« Er war klug genug, nicht nach dem Grund ihres Schocks zu fragen. »Ich habe ihr ein Medikament gegeben. Sie wird tief schlafen, und es besteht die Hoffnung, daß es ihr wieder bessergeht, wenn sie aufwacht. Sollte das nicht der Fall sein ….« Er zog eine Visitenkarte hervor, und Bennie nahm sie. »Das ist die Adresse eines Freundes. Er ist Rechtsanwalt. Wenn ihre Freundin Hilfe brauchen sollte ….« Er tippte auf seinen Schnurrbart, als sorgte er sich, daß er nicht mehr da war. »Ich versichere Ihnen, daß er äußerst diskret ist.«
Bennie begleitete den Arzt zu dem Teil des Parkplatzes, wo sein smaragdgrüner BMW neben dem Hummer und Croakers Thunderbird stand. Croaker sah, daß kein Geld den Besitzer wechselte, was Bennies Geschäftsgebaren entsprach. Hier wurden auf nicht greifbare Weise Schulden angehäuft und wieder getilgt. Persönliche Gefälligkeiten, Einflußnahme und Darlehen waren die unsichtbaren, aber machtvollen Zahlungsmittel in diesem Reich. Bennie verschwand im Haus. Wahrscheinlich sah er nach Maria. Croaker beobachtete die Lichter, die über den Strand an der Collins Avenue glitten, und fragte sich, was er sich durch seine Freundschaft mit Bennie und Sonia eingebrockt hatte. Er begriff plötzlich erschrocken, daß er in dem Augenblick, da er an diesem Nachmittag den Little River Kanal überquert hatte, ein Teil von Bennies Schattenwelt geworden war, und er wußte noch nicht, was das für Konsequenzen haben würde. Aber er hatte eine unbestimmte Ahnung, daß sich in seinem Leben alles geändert hatte. Er schüttelte die düsteren Gedanken ab und benutzte sein Handy, um drei Freunde anzurufen, die in verschiedenen Abteilungen der Bundesregierung arbeiteten. Zwei waren nicht erreichbar, und er hinterließ detaillierte Nachrichten in ihrer Mailbox. Der dritte antwortete, und nachdem er gehört hatte, in was für einer verzweifelten Notlage sich Rachel befand, verwies er ihn an einen befreundeten Arzt vom Walter-Reed-Krankenhaus. Der Arzt wiederholte im großen und ganzen das, was Dr. Marsh Croaker erzählt hatte.
»Lebenswichtige Organe sind höllisch knapp«, sagte er. »Es tut mir leid, aber wenn sie drogensüchtig ist, sind ihre Chancen gleich Null.« Er schwieg kurz. »Das einzig Gute ist, daß sie sich in den Händen einer sehr kompetenten Ärztin
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