Schwarze Heimkehr
auf dem Flur standen.
In Mattys Abwesenheit schmolz Dr. Stanskys fast unterwürfiges Benehmen wie Schnee in der Sonne dahin. Jetzt kam eine harte Unversöhnlichkeit zum Vorschein, die von wachsamen Menschen meistens wie eine Waffe eingesetzt wird, die sich in einer ihnen nicht vertrauten Situation befinden.
»Und?« Dr. Stansky wirkte gekränkt, weil hier offenkundig jemand seine wertvolle Zeit verschwendete. »Sie hat mich aufgesucht, weil ihre Schule diese ärztliche Untersuchung verlangte. Rachel war nicht krank.«
Es war, als wollte man einen Stein auswringen. »Weiter.«
Dr. Stansky spreizte seine manikürten Finger. »Die Untersuchungsergebnisse waren in jeder Hinsicht normal.«
Croaker schüttelte den Kopf. »Etwas macht mich neugierig, Doktor. Wie ist es möglich, daß bei Ihren Untersuchungen nicht herauskam, daß Rachel Marihuana rauchte, Kokain schnupfte und halluzinogene Drogen nahm?«
»Ich glaube verstanden zu haben, daß sie früher Detective bei der New Yorker Polizei waren.« Dr. Stanskys Augen glichen leeren Abgründen, in denen jedes echte menschliche Gefühl wie ein Stein in einem Brunnen verschwunden war. Croaker hatte den starken Verdacht, daß einem dieser Charakterzug an der medizinischen Fakultät zusammen mit Anatomie und Zytologie beigebracht wurde. »Warum stellen sie mir eine Frage, wenn sie die Antwort schon kennen?«
»Ich wollte hören, was sie dazu zu sagen haben.«
Dr. Stansky sträubte sich. »Es ist ein Kinderspiel, bei einer solcher Untersuchung nicht aufzufallen.« Er fuchtelte warnend mit einem Finger herum wie ein Professor, der vor einem plötzlich unruhig gewordenen Auditorium steht. »Das passiert an jedem Tag der Woche in jeder Stadt dieses Landes. Es ist zwar schrecklich, aber leider Realität.«
»Aber jetzt wissen Sie, daß sie drogenabhängig ist.« Croaker hatte diesen Satz nicht als Frage verstanden. Der Doktor begegnete ihm mit eisigem Schweigen. Einen Arzt so weit zu bekommen, einen Fehler zuzugeben, war ungefähr gleichbedeutend damit, von Gott das Eingeständnis zu fordern, daß er bei der Erschaffung der Menschheit einen Fehler begangen hatte. »Danke, Doktor. Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen.«
Dr. Stansky verwechselte Croakers Ironie mit einer Entschuldigung und spitzte die Lippen, um deutlich zu machen, daß er sie akzeptierte.
Croaker sprach kurz mit Matty. Er sehnte sich danach, ihr etwas über sein Gespräch mit dem mysteriösen Rechtsanwalt Majeur zu erzählen, brachte es aber nicht übers Herz. Da nicht sicher war, ob er seinen Teil des Geschäfts erledigen könnte und ob Majeur nicht mit gezinkten Karten spielte, wäre es grausam gewesen, ihr Hoffnungen zu machen. So versicherte er ihr nur, daß er weiterhin seine Kontakte zu Regierungskreisen in Anspruch nehmen würde, um Rachel eine Niere zu verschaffen. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, war aber auch keine Lüge.
Nachdem Croaker das Krankenhaus verlassen hatte, überlegte er, wo er in der kommenden Nacht schlafen sollte. Der Weg zu seinem Haus in Islamorada war zu weit, und der Gedanke, bei Matty in Harbour Pointe zu bleiben, machte ihn nervös. Diese hochgezüchteten Wolkenkratzer waren nicht der richtige Ort für ihn. Als er die Hand in die Hosentasche steckte, stellte er fest, daß er die Schlüssel von Sonias Haus noch bei sich hatte. Er hatte vergessen, sie Bennie zurückzugeben.
Er ging über den Parkplatz zum Thunderbird und dachte darüber nach, ob er wirklich in El Portal übernachten sollte. Er öffnete den Kofferraum und gab auf einer kleinen Zifferntastatur, die er selbst angebracht hatte, eine Nummer ein. Ein kleines Kläppchen öffnete sich, und er zog eine gepolsterte Aktentasche hervor, in der sich ein kleines Notebook befand. Er schloß es an sein Mobiltelefon an und wählte über das interne Modem die Datenbank des State Motor Vehicle an. Die Software fragte ihn nach einem Zugangscode, und er tippte eine Nummer ein, die ihm Rocky Saguas, ein befreundeter Detective Lieutenant von der Metro-Dade Police Force, einmal gegeben hatte. Er kam durch, gab die Autonummer von Majeurs Lincoln Continental ein, aber das System war blockiert. Typisch. Er wechselte zu Southern Bell, benutzte den gleichen Code und gab die Telefonnummer von Sonias todkrankem Freund Nestor ein. Einen Augenblick später erschienen dessen voller Name und die Adresse auf dem Monitor; er wohnte nicht weit von Sonias Haus entfernt in El Portal. Croaker unterbrach die Verbindung und fuhr
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