Schwarze Herzen
„Normalerweise sehe ich besser aus, klar? Ihr hättet mich vor ein paar Tagen sehen sollen. Als ich nackt war.“
Lysander erhob sich. „Das ist alles, was du mir zu sagen hast?“
Jetzt konzentrierte sie sich wieder auf ihn. Seine Augen waren so groß wie ihre kurz zuvor, die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. „Nein. Da ist noch etwas“, grummelte sie. „Aber das mit dieser gelben Abscheulichkeit werde ich mir mein Leben lang anhören dürfen, das ist dir ja wohl klar.“
„Bianka.“
„Ja, ich liebe dich auch. Aber solltest du je wieder beschließen, dass ich deiner unwürdig bin, zeige ich dir, wie dämonisch ich wirklich sein kann.“
„Einverstanden. Darüber musst du dir allerdings keine Sorgen machen, Liebste“, versicherte er ihr, und langsam schlich sich ein Lächeln auf diese herrlichen Lippen. „Ich bin derjenige,der unwürdig ist. Ich bete nur darum, dass du das niemals entdeckst.“
„Ach, das weiß ich doch längst“, erwiderte sie, und sein Grinsen wurde breiter. „Jetzt komm schon her, du.“ Sie legte ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn für einen Kuss zu sich herab.
Er schlang die Arme um sie und hielt sie an sich gedrückt. Nie hätte sie damit gerechnet, dass sie einmal bei einem Engel landen würde. Doch bedauern konnte sie es nicht. Nicht solange es Lysander war.
„Bist du dir sicher, dass du bereit für mich bist?“, fragte sie ihn, als sie kurz Luft holen mussten.
Liebevoll knabberte er an ihrem Kinn. „Mein ganzes Leben schon war ich bereit für dich. Ich habe es nur bis jetzt nicht gewusst.“
„Gut.“ Mit einem Jauchzen sprang sie ihn an und schlang ihm die Beine um die Taille. Ein erstauntes Luftholen ging durch die Reihen. Die waren immer noch hier? „Werde deine Freunde los, dann schwänze ich den Hochzeitsempfang meiner Schwester und wir gehen öl-catchen. Okay?“
„Lustig“, meinte er, hüllte sie in seine Flügel ein, trug sie aufwärts und immer weiter, bis in seine Wolke hinein. „Ich hab genau dasselbe gedacht.“
–ENDE–
Gena Showalter
Schwarzes Feuer
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Michaela Grünberg
1. KAPITEL
J eden Tag seit vielen Jahrhunderten war die Göttin auf ihrem Weg an ihm vorbeigekommen, wenn sie der Hölle ihren allabendlichen Besuch abstattete. Und jeden Tag hatte Geryon sie von seinem Posten aus beobachtet, während die heimliche Sehnsucht sein Blut tausendmal mehr erhitzt hatte, als die ewigen Flammen der Verdammnis in seinem Rücken es jemals getan hatten. Nie hätte er sie auf diese Weise ansehen dürfen, spätestens aber nach jenem ersten Mal hätte er fortan seinen Blick stets gesenkt halten sollen. Er war ein nichtswürdiger Sklave des Fürsten der Dunkelheit, eine Ausgeburt des Bösen; sie eine Göttin, ein Geschöpf des Lichts.
Er konnte sie nicht haben. Beim Gedanken daran ballte er unwillkürlich die Fäuste. Ganz egal, wie sehr er sich wünschen mochte, es wäre anders. Sie würde ihn ohnehin nicht wollen. Diese … Besessenheit führte zu nichts als Verzweiflung. Und davon hatte er bereits reichlich.
Und dennoch schaute er auch an diesem Tag zu, wie sie durch das triste Gewölbe schwebte, auf die zerklüftete Mauer zu, die den irdischen Untergrund vom Reich der Schatten trennte, und sie mit ihren zarten Fingerspitzen betastete. Goldene Locken fielen über ihren zierlichen Rücken und rahmten ein Gesicht ein, so makellos, so wunderschön, dass selbst Aphrodite daneben verblasst wäre. Ihre Augen, funkelnd wie Sterne, verengten sich skeptisch, auf den samtigen Alabasterwangen erschien ein rosiger Schimmer.
„Da ist ein Riss“, sagte sie, ihre sanfte Stimme wie eine elysische Melodie inmitten des Zischens der nahen Flammen – und der unmenschlichen Schreie, die das lodernde Feuer begleiteten.
Geryon schüttelte den Kopf, überzeugt, sich das gerade Geschehene nur eingebildet zu haben. In all der Zeit, die sie beide hier unten nun schon ihre Aufgabe erfüllten, jeder für sich, hatten sie niemals ein Wort gewechselt, waren kein einziges Malvon ihrer Routine abgewichen. Als Hüter des Tors zur Hölle sorgte Geryon dafür, dass es verschlossen blieb und sich nur öffnete, um neue verfluchte Seelen einzulassen. So war sichergestellt, dass nichts und niemand von dort wieder entkommen konnte – und wenn sie es dennoch versuchten, bekamen sie es mit ihm zu tun. Sie, die Göttin der Unterdrückung, verstärkte das Bollwerk allein mit ihrer Berührung. Nie zuvor war das Schweigen zwischen ihnen
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