Schwarze Herzen
Flehen keine Beachtung geschenkt, und die Angst und Ohnmacht waren ins schier Unerträgliche gewachsen.
In jenem Moment war Luzifer auf der Bildfläche erschienen. Was für ein gerissener Bursche.
Um seine Angetraute zu retten – und vielleicht sogar endlich ihr Herz zu gewinnen –, hatte Geryon sich dem Fürsten der Finsternis ausgeliefert. Und kurz darauf hatte die Verwandlung ihren Lauf genommen. Hörner waren aus seinem Schädel gewachsen, die Hände zu riesigen Pranken geworden und die Fingernägel zu scharfen, tödlichen Krallen. Dunkles, rötliches Fell hatte plötzlich seine Beine bedeckt, an deren Enden sich zu seinem Entsetzen keine Füße mehr befanden, sondern Hufe.
Binnen Sekunden war er vom Mann zum Ungeheuer geworden, mehr Tier als Mensch.
Seine Frau indes war tatsächlich gesundet, so wie Luzifer es ihm versprochen hatte. Doch an ihrer fehlenden Zuneigung zu Geryon hatte auch das nichts geändert. Ganz im Gegenteil. Nicht genug damit, dass seine selbstlose Tat ihr nicht das Geringste bedeutet hatte, nein: Obendrein hatte sie ihn für einen anderen Mann verlassen. Einen Mann, mit dem sie sich offenbar von Anfang an heimlich getroffen hatte.
Welch ein Trottel er gewesen war. Ein Rindvieh. Alles umsonst, für nichts und wieder nichts .
„Was beschäftigt dich, Torwächter? Nie habe ich dich so … gebrochen gesehen.“
Er ballte die Fäuste, so fest, dass sich die Krallen tief in seine Haut drückten, und zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart zu richten. Und auf die zauberhafte Göttin, die ihn besorgt ansah. Mitgefühl. In ihrem Gesicht ebenso wiein ihrer Stimme. Mitgefühl, von dem er sich nicht erweichen lassen durfte. Kalt und hart, das war es, was er sein musste. Immer. Denn anders würde er seine Zeit hier nicht überleben.
„Mein Handeln unterliegt nicht mehr meinem Willen. Sosehr ich auch wünschte, es wäre anders, ich kann nichts für Euch tun. Nun … bitte. Ihr habt doch sicher Pflichten, denen Ihr nachgehen solltet?“
„Ich tue genau jetzt meine Pflicht. Wie steht es mit dir?“
Er wurde rot.
Sie seufzte erneut. „Verzeih, ich wollte nicht schnippisch sein. Ich bin erschöpft.“
Die Göttin musterte ihn, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Beklommen trat er von einem Bein aufs andere. Ihrem durchdringenden Blick ausgesetzt zu sein machte ihn nervös – schließlich wusste er nur allzu genau, wie abstoßend sein Äußeres war. Doch zu seiner Überraschung zeigte sich in ihren warmen Augen noch immer keine Spur von Abscheu, als sie nachdenklich die Brauen zusammenzog und fragte: „Deine Seele gehört dem Fürsten der Finsternis?“
„Ja.“
„Aber wäre sie dein, würdest du mir in dieser Sache deine Unterstützung gewähren?“
„Ja“, wiederholte er heiser. Und sie? Würde sie ihm nach wie vor eine Belohnung für seine Hilfe anbieten?
„Nun gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.“
Seine Augen weiteten sich entsetzt. Mit Luzifer verhandeln?
„Nein! Das dürft Ihr …“
Doch ehe er sie aufhalten konnte, war sie verschwunden.
In den Gewölben der Hölle:
„Luzifer, höre meine Worte. Ich verlange, mit dir zu sprechen. Du wirst dich mir zeigen. Zu dieser Stunde, heute, in diesem Raum. Allein. Ich werde genauso bleiben, wie ich gegenwärtig bin.“ Kadence, Göttin der Unterdrückung, wusste ihre Forderungenklar und unmissverständlich zu formulieren. Andernfalls nämlich würde der oberste Dämonenherrscher sie „auslegen“, wie es ihm gefiel, was sehr unangenehme Überraschungen mit sich bringen konnte. „Und du wirst vollständig bekleidet sein.“
Hätte sie schlicht um eine Unterredung mit ihm ersucht, wäre es gut möglich gewesen, dass sie sich unversehens in seinem Bett wiedergefunden hätte, an Händen und Füßen gefesselt, splitternackt und von einer Horde geifernder Monster umgeben.
Mehrere Minuten verstrichen, ohne dass eine Reaktion auf ihre Forderung kam. Doch das hatte sie auch nicht erwartet. Er liebte es, sie warten zu lassen. Es gab ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Gib dich beschäftigt und desinteressiert .
Eingehend betrachtete Kadence ihre Umgebung, als sei sie nur gekommen, um sich in Luzifers Gefilden umzuschauen. Anstelle von Stein und Beton bestanden die Wände seines Palastes aus Flammen. Ein knisterndes, goldorangefarbenes Inferno. Tödlich bei der leisesten Berührung.
Sein Thron war geformt aus schwarzer Asche und Knochen, zwischen denen weitere züngelnde Flammen tanzten. Daneben, nur wenige
Weitere Kostenlose Bücher