Schwarze Herzen
diese furchtbaren Schreie. So viel schrecklicher als jene, die aus den Tiefen der Hölle drangen. Und der Anblick … Er erschauderte. Wären solche Grausamkeiten ihm angetan worden, es hätte ihn nicht gekümmert. Ihm nicht mehr als ein Lachen entlockt und ihn nur umso härter kämpfen lassen. Aber Luzifer, Bruder des Hades und Herrscher der Dämonen, brauchte ihn gesund, funktionstüchtig, und so hatte er andere Mittel und Wege gefunden, ihn gefügig zu machen.
Die Erinnerungen würden ihn auf ewig verfolgen. Vielleicht wären sie zumindest in den Nächten einige Stunden lang verblasst, während er schlief. Doch selbst das blieb ihm verwehrt. Er war hellwach, rund um die Uhr; unfähig, jemals zu vergessen.
„Gehorsam. Von dir hätte ich etwas anderes erwartet“, sagte sie. „Du bist ein Krieger, ein Kämpfer, stark und unbeugsam.“
Ja, er war ein Krieger. Aber gleichzeitig auch ein Sklave. Das eine schloss nicht zwangsläufig das andere aus.
„Es tut mir leid, Göttin. Meine Stärke ändert nichts an den Gegebenheiten.“
„Ich bin bereit, dich für deine Hilfe zu entlohnen“, beharrte sie. „Nenn mir einen Preis. Was auch immer du begehrst, es soll dir gehören.“
Wenn es doch nur so einfach wäre, dachte er abermals. Dann hätte er sie um einen kurzen Moment des Glücks gebeten, nur den Bruchteil einer Sekunde, in dem er den süßen Geschmack ihrer Lippen kosten könnte.
Aber warum so bescheiden? Was auch immer er begehrte . Eine Nacht in ihren Armen. Nackt. Ihre samtweiche Haut berühren, sie fühlen, sie schmecken. Ja. Ja . Jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte sich. Vor Erregung. Vor Sehnsucht.
Vor Verzweiflung.
Nein. Er durfte nicht riskieren, dass ein weiteres Mal Unschuldige leiden müssten – was scherst du dich um die? –, nur damit sein Verlangen nach dieser schönsten, herrlichsten aller Göttinnen Befriedigung fand. Also dann ein Kuss? Oder doch eine ganze Nacht? Nein und nochmals nein.
Jetzt wusste er, was wahre Folter war. Er biss die Zähne zusammen. Warum ihn das Schicksal Fremder kümmerte? Weil es ohne Gutes nichts als Böses gäbe. Und er hatte über die Jahrhunderte so viel Böses gesehen. Zu viel. Er würde nicht zulassen, dass durch seine Schuld noch mehr dazukäme.
„Torwächter?“, riss ihn die ungeduldige Stimme der Göttin aus seinen Gedanken. „Was immer du willst.“
2. KAPITEL
S ag nichts. Tu es nicht . Geryon schluckte trocken. „Es tut mir leid.“ Nein. Hör auf damit. Bitte sie um diesen einen Kuss; wenigstens das, wenn du schon zu allem anderen zu feige bist . „Wie ich bereits sagte, ich kann Euch nicht helfen.“ Nein, nein, nein .
Wie sehr er sich in diesem Augenblick hasste.
Enttäuscht ließ sie die zarten Schultern sinken, und sein Selbsthass wurde umso größer.
„Aber weshalb? Dir muss doch ebenso viel daran gelegen sein wie mir, die Dämonen dort zu halten, wo sie hingehören. Oder nicht?“
„Sicher.“ Geryon wollte ihr die Gründe für seinen Widerstand nicht nennen. Er schämte sich zutiefst, auch nach all dieser langen Zeit. Und doch würde er es tun. Vielleicht würde sie sich dann endlich abwenden und zu ihrer alten Gewohnheit zurückkehren, so zu tun, als existierte er überhaupt nicht. So wie jetzt konnte es jedenfalls nicht weitergehen, er musste diesem Irrsinn ein Ende setzen. Seine Sehnsucht nach ihr wurde von Minute zu Minute stärker, übermächtiger, und sein Körper reagierte, machte sich bereit.
Sie ist nichts für dich .
Wie oft würde er sich das noch in Erinnerung rufen müssen?
„Ich habe meine Seele verkauft“, gestand er leise. Geryon war einer der ersten Menschen gewesen, die dereinst die Erde bevölkert hatten. Trotz seines hünenhaften Körpers und der damit verbundenen Unbeholfenheit war er mit seinem Los zufrieden gewesen. Er hatte das Glück gehabt, eine hinreißende Frau an seiner Seite zu wissen, auch wenn seine Familie sie für ihn ausgesucht hatte und er umgekehrt für sie – wie auch für alle anderen weiblichen Wesen, die er kannte – nicht sonderlich anziehend gewesen war.
Ein Jahr nach ihrer Heirat war sie von einer schlimmen Krankheit heimgesucht worden. Tiefe Verzweiflung hatte ihngepackt, denn nichts schien ihr zu helfen. Obwohl er sie nicht hatte glücklich machen können, so gehörte sie doch zu ihm, und er hatte es als seine Pflicht angesehen, für ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden Sorge zu tragen. So hatte er in seiner Not die Götter um Hilfe angerufen.
Sie aber hatten seinem
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