Schwarze Herzen
Schritte entfernt, stand ein blutverschmierter Opferstein. Darauf lag noch immer ein lebloser Körper – abzüglich des Kopfes. Der allerdings würde bald schon von allein an seinen Platz zurückkehren, auf dass die Folterung von Neuem beginnen konnte. Das war der Lauf der Dinge hier unten.
Keine Seele würde dem endlosen Martyrium jemals wieder entrinnen, wenn sie erst einmal der Unterwelt anheimgefallen war. Nicht einmal im Tod.
Kadence verabscheute alles an diesem Ort. Dichte Schwaden beißenden Qualms stiegen aus den Feuern auf und legten sich um ihre Schultern wie körperlose Finger der Verdammten. Wie gern hätte sie mit der Hand den Gestank wegzufächeln versucht, doch sie tat es nicht. Sie würde keine Schwäche zeigen, und sei es auch nur durch solch eine winzige Geste.
Ließe sie sich etwas anmerken, das wusste sie genau, wäre sieinnerhalb von Sekunden in eine riesige Wolke dieses giftigen, pechschwarzen Rauchs eingehüllt. An nichts fand Luzifer mehr Gefallen, als Schwachpunkte zu entdecken und sie auszunutzen.
Diese Lektion hatte Kadence bereits kurz nach ihrer Ankunft gelernt. Gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen – als sie gekommen war, um Hades und Luzifer darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie zu ihrer Wächterin ernannt worden war. Wer wäre besser geeignet als sie – die Verkörperung der Eroberung und der Unterwerfung –, um sicherzustellen, dass Dämonen und Verdammte genau dort blieben, wo sie hingehörten? Zumindest waren die Götter dieser Ansicht gewesen und hatten sie dafür ausgewählt.
Zwar teilte sie deren Meinung hinsichtlich ihrer Fähigkeiten nicht, aber sich zu widersetzen hätte Bestrafung zur Folge gehabt. Mittlerweile war sie jedoch mehr als einmal zu dem Schluss gekommen, dass sie vielleicht besser die Strafe hätte in Kauf nehmen sollen. Mit Steinen beworfen zu werden, blutige Tierleichen auf ihren Eingangsstufen vorzufinden, die man als Warnung hinterlassen hatte … All das wäre erträglich im Gegensatz zu dem Dasein, das sie jetzt führte. Ein Dasein, dessen Tage sie damit zubrachte, in einer nahe gelegenen Höhle zu schlafen – doch es war kein echter Schlaf; es war ein ruheloses Dämmern, währenddessen ihr geistiges Auge in glasklaren Visionen pausenlos über die verschiedenen Dämonenlager schweifte –, und in dessen Nächten sie eine kahle, hässliche Steinmauer bewachte.
Während der Torwächter sie die ganze Zeit über beobachtete.
Das jedoch war kein so hartes Los.
Viele Jahre lang hatte es sie verunsichert, wie er jede ihrer Bewegungen verfolgte. Er unterschied sich so sehr von allem, was sie bis dahin gesehen hatte; halb Mann, halb Ungeheuer, und in seiner Gesamtheit seltsam … anders. Aber nach einer Weile hatte sie sich nicht nur an seinen ausdruckslosen Blick gewöhnt, sondern sogar begonnen, Trost darin zu finden. Er beschützte sie vor Dämonen und bösen Seelen, wenn sie durch das Tor schlüpften und bei ihren Fluchtversuchen jeden angriffen, derihnen im Weg stand. Der Wächter drängte sie zurück, streckte sie nieder; ganz egal, wie schwer er selbst dabei verletzt wurde.
Dies war das Mindeste, das Kadence für ihn tun konnte.
Ich habe meine Seele verkauft , hatte er gesagt. Wofür? fragte sie sich. Was hatte er im Gegenzug bekommen? Hielt er diesen Tausch für ein gutes Geschäft oder bereute er ihn mittlerweile? Beinahe hätte sie ihn danach gefragt, doch dann war ihr wieder eingefallen, wie unangenehm ihm schon ihr Gespräch über die Risse in der Mauer gewesen zu sein schien. Mit persönlichen Fragen konfrontiert zu werden wäre ihm wohl kaum behaglicher gewesen, und so hatte sie es sein lassen.
Was vermutlich auch besser so war. Im Moment musste sie sich einzig und allein auf das konzentrieren, weswegen sie hier war. Wie hatte ihr entgehen können, welches Unheil sich in den Tiefen der Hölle zusammenbraute? Dass Hohe Herren ein für alle Mal zu entfliehen versuchten?
Sollte Luzifer etwa ihren geistigen Blick von den entscheidenden Gegenden seines Reiches ferngehalten haben? Nur er war mächtig genug dazu. Doch wenn ihr Verdacht tatsächlich stimmte: Was hoffte er zu erreichen, indem er seinen Untergebenen bei ihren Ausbruchsversuchen half? Würde sie ihn direkt darauf ansprechen, bekäme sie nichts als Lügen zu hören. So viel stand fest.
Also, was tun? Sie fühlte sich hilflos, mehr als je zuvor in ihrem Leben.
Nein, das war nicht ganz richtig. Während ihres ersten Besuchs hier in seinem Palast hatte Luzifer sofort ihre
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