Schwarze Küsse
Händen ist«, erläuterte Wintilo.
Jetzt war es an Carcaño, mir eine Mappe zu geben.
Als ich sie aufschlug, fiel mein Blick zuerst auf das Foto einer etwa zwanzigjährigen, dunkelhaarigen Frau mit aufgeworfenen Kollagen-Lippen. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob sie Begierde oder Ekel in mir auslöste.
»Sein Name ist Roberto, aber er nennt sich Maika. Du musst ihn finden.«
Das konnte ich nicht so recht ernst nehmen, deshalb fragte ich. »Muss es genau der sein? Wenn man mit dem Auto eine Runde durch die Zona Rosa dreht, findet man nämlich leicht einen, der mehr nach Frau aussieht.«
»Die Sache ist nicht zum Lachen«, sagte Wintilo streng.
»Lass ihn«, beschwichtigte Carcaño. »Mit ein wenig Humor geht alles leichter.«
Ich betrachtete noch einmal das Foto. Roberto – oder Maika – hatte einen geradezu beunruhigend melancholischen Blick.
Carcaño sah Wintilo vielsagend an, woraufhin dieser zum Fenster trat, das auf einen Flur ging, und die Jalousien schloss. Aus Instinkt schloss ich auch etwas: die Beine.
»Erinnerst du dich an den Kriminalbeamten Marcial Oviedo?«, fragte mich Wintilo.
Ich hatte ihn sofort vor Augen. Zwei Bilder: wie er mir auf den nackten Fuß trat und wie er zwei junge Männer mit Schüssen durchsiebte. Alles nur, um sich mit der Knete aus dem Fall Alicia del Moral davonzumachen.
Ich nickte.
»Du wolltest ihn damals retten in diesem Haus, das wissen wir«, sagte Carcaño.
Das war eine falsche Annahme, ich hatte nie versucht, diesen Hurensohn zu retten, aber ich ließ die beiden weiterreden.
»Du bist damals in dieses Haus in Iztacalco eingedrungen, Gil, auf der Suche nach Alicia del Moral. Den Polizeibeamten Oviedo konntest du nicht mehr retten, weil sie ihn schon hingerichtet hatten.«
Und auf welche Weise. Ich sah Marcial Oviedo vor mir, dem sie einen Hammer so weit in den Hintern gerammt hatten, dass ihm auch ein größerer chirurgischer Eingriff nichts mehr genutzt hätte.
»Was hat Oviedo mit Roberto zu tun?«, fragte ich.
»Sie sind Brüder. Ihr Vater ist der Richter Ernesto Oviedo Cruz.«
Das Telefon klingelte. Carcaño nahm ab und gab einsilbige Antworten.
In meinem Gehirn begann es zu arbeiten. Der Richter Oviedo besaß den Ruf eines anständigen Mannes, konservativ und grundehrlich. Wie beschämend musste es für ihn sein, dass beiden Söhnen Sachen in den Hintern geschoben wurden, dem einen mit Gewalt und dem anderen, weil es ihm Vergnügen bereitete.
Carcaño legte den Hörer auf und sagte, er müsse los. Er bat Wintilo, mir alles zu Ende zu erklären. Beim Hinausgehen sah er aus, als müsse er aufs Schafott.
Wintilo fuhr fort: »Roberto arbeitete in einer Spelunke in der Zona Rosa. Es gab Krach, und er verschwand. Was musst du sonst noch wissen?«
»Sag du es mir.«
»Ein Freier von Roberto wurde in einem Hotel in unmittelbarer Nähe des Lokals erstochen. Roberto wird verdächtigt, weil er in dieser Nacht mit ihm zusammen war. Neben den entsprechenden Stichwunden wies der Tote ein Kennzeichen des Täters auf: schwarze Küsse.«
»Schwarz?«
»Wie dein Gewissen. Mit stinkendem Lippenstift gemalt.«
Ich betrachtete noch einmal das Foto. Robertos Augen begannen auszusehen wie dünne Eisschichten. Und sein schwarz gemalter Mund wie der einer Spinne.
»Müssen wir ihn für seinen Vater finden oder für die Justiz?«
»Ich glaube, du kennst die Antwort.«
»Und der Mord in dem Hotel?«
»Welcher Mord?«
U m acht Uhr abends saßen Wintilo und ich an einem Tisch in besagter Spelunke, die Fata Morgana hieß und im Herzen der Zona Rosa lag, wo die Straßen Tag und Nacht in allen Farben des Regenbogens pulsieren und sich gleichgeschlechtliche Paare auf rosafarbenem Straßenpflaster küssen. Judith, die beste Freundin von Roberto, würde erst nach ihrer Bühnenshow mit uns sprechen, deshalb blieb uns nichts anderes übrig, als auf sie zu warten.
Auf Empfehlung des Kellners bestellte ich einen Black Velvet: dunkles Bier mit Gin. Wintilo hingegen, der an dem wie eine Frau geschminkten Kellner diskrete Spuren von Männlichkeit wahrnahm, sagte scharf: »Weißen Tequila, ganz normal und ohne Schwuchteleien.«
Der erste Act war ein Transvestit, der sich als Marilyn Monroe vorstellte. Ich fand, dass er wirklich wie Marilyn aussah, allerdings wie auf dem Foto, auf dem sie schon tot war.
Wintilo fragte mich, was ich von »diesen Leuten« hielt.
»Welchen Leuten?«, fragte ich.
»Den Tunten.«
»Nichts Halbes und nichts
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