Schwarze Küsse
Chlor riechende Laken und eine harte Matratze.
Ich teilte die Zelle mit einem Typen namens Arturito. Er trug eine Hornbrille, war geradezu mager und hatte nach vorne hängende Schultern. Ich musste ihn nicht fragen, warum er hier war. Er erzählte, er bekomme gelegentlich Panikattacken und sei hinunter auf die Straße gegangen, um zur Entspannung einige Fensterscheiben einzuschlagen. Er selbst habe anschließend die Polizei gerufen. Erstaunlich. Jetzt waren wir schon zwei Bürger dieser Stadt, die sich selbst eingewiesen hatten. Ich, indem ich zugegeben hatte, blau zu sein, und er, indem er selbst die Streife gerufen hatte. Meine alkoholgetränkten Gedanken entwickelten eine Theorie: Wenn die Straffreiheit immer mehr ausufert, müssen wir jemanden finden, den wir bestrafen können, und wenn es wir selbst sind.
Arturito stellte sich als interessanter Gesprächspartner heraus. Er erzählte mir, dass er in einem Erotikfachgeschäft im Zentrum arbeitete. Ich wunderte mich nicht, als er sagte, er habe irgendwann angefangen, Stimmen zu hören, die ihn um Erlösung baten.
»Erst vermutete ich, dass es sich um eine gepeinigte Seele handelte, aber dann entdeckte ich, dass mich eine der aufblasbaren Gummipuppen aus ihrem Karton heraus rief. Ich nahm sie mit nach Hause, gab ihr den Namen Laura und machte sie zu meiner Geliebten. Jede Nacht trieb ich es drei oder vier Mal mit ihr. Ich dachte nur an sie, immer und überall, so sehr, dass ich mir zwei- oder dreimal pro Tag einen runterholte. Ich lebte nur noch dafür. Für Laura und fürs Wichsen. Ich lernte eine Frau aus Fleisch und Blut kennen, Elena Soto Balderas. Sie studierte Nuklearphysik, aber sie hatte Angst vor Männern. Ich lernte sie bei einem Madonna-Konzert kennen, wo ich eigentlich nichts zu suchen hatte, ich hätte nämlich Led Zeppelin vorgezogen. Aber Led Zeppelin sind nie nach Mexiko gekommen. Weißt du, warum Led Zeppelin nie nach Mexiko gekommen sind, Gil?«
Seine Abschweifungen begannen mich zu nerven. Trotzdem setzte ich einen neugierigen Gesichtsausdruck auf.
»Wegen den Präsidenten. Sie hatten immer schon Angst, dass die Musik soziale Unruhen hervorrufen könnte. Meine Eltern waren Hippies, die waren in Woodstock und in Avándaro dabei. Ich weiß also, wovon ich rede, Gil. Mithilfe der CIA haben die mexikanischen Präsidenten Tausende von Hippies umgebracht. Sie selbst, die Präsidenten, waren auch Agenten der CIA, man hatte sie angeworben. Der Pakt zwischen ihnen – das weiß ich, weil ich meine Informanten habe – setzt einen strikten Schwur voraus, und um ihn zu besiegeln, muss der jeweilige Kandidat einem Mann, der sich Erdnussbutter auf den Schwanz schmiert, einen blasen. Erdnussbutter ist das Symbol für die Vereinigten Staaten, genau wie das Allsehende Auge auf der Dollarnote, das weiß ich, weil …«
Ich wagte es, sein Gequatsche zu unterbrechen.
»Und was passierte mit der Frau aus Fleisch und Blut?«
»Wir gingen zwei- oder dreimal miteinander aus, aber sie machte mich nervös. Sie versuchte zwar, sich ganz natürlich zu geben und ihre Angst vor Männern nicht zu zeigen, aber ich dachte trotzdem nur an Laura, an Laura und ans Wichsen.«
Ich war noch nie mit einer Gummipuppe ins Bett gegangen, also bat ich ihn um Details.
»Es ist nicht dasselbe«, gab er zu, »aber man erschafft sie sich in Gedanken. Man entwickelt die gleichen Fantasien wie bei einer Frau. Hältst du mich für verrückt, Gil?«
Ich sagte, es liege mir fern, den Geschmack von jemandem zu verurteilen, der das höchste Glück erreicht habe. Er erwiderte, dass er schnell erkannt habe, dass das Glück gar nicht existiert. Er benutzte nämlich ein Kondom, weil er Angst hatte, sein aufblasbares Mädchen könnte ihn mit Aids anstecken.
»Als mir ein Kondom riss, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich flippte vollkommen aus und schlug mit den Fäusten auf Laura ein. Hinterher war es nicht mehr dasselbe. Wir hatten weiterhin Sex, aber er war immer mit Gewalt und Geheul verbunden.«
»Puppen heulen nicht«, sagte ich.
»Die Heulsuse war ich. Außerdem hatte sie für mich sehr wohl Gefühle.«
Was sollte ich dazu sagen?
»Kannst du mir jetzt die Hände fesseln, Gil?«
Er zeigte mir ein Halstuch, das er unter seinem Hemd hereingeschmuggelt hatte, und erklärte, er müsse mit gefesselten Händen schlafen, damit er sich die Eier nicht bis aufs Blut aufkratze.
»Meine Hände hassen mich«, sagte er.
Und er sagte es so aufrichtig, dass ich nicht im
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