Schwarze Küsse
geschleudert wurden.
»Du musst sie dir ansehen«, sagte Wintilo.
Er hatte recht. Ich musste diese Fotos sehen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging zum Auto zurück. Der Körper des Toten wies Schnittwunden an Hüften, Gesäß und Beinen auf. Der Rücken war unversehrt, aber voll mit Küssen, die jemand mit schwarzem Lippenstift daraufgemalt hatte.
Auf dem Nachttisch waren einige Coca-Cola-Flaschen aus Glas, eine Schachtel Lucky Strikes und eine Schachtel Durex-Kondome zu sehen.
»Was sagt der Hotelmanager?«
»Das Übliche, dass er bloß Schreie gehört hat. Willst du, dass wir zu ihm fahren und ihn befragen?«
»Wieso fragst du mich das?«
»Weil du befördert worden bist«, erklärte Wintilo und stand stramm. »Ich habe dem Teniente von unserer Unterhaltung mit der Tunte aus dem Fata Morgana erzählt. Dein Verhalten hat ihm imponiert. Ich hatte ja meine Zweifel, aber ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Du hast es gut gemacht, Gil. Du hast diese Schwuchtel in die Tasche gesteckt, im wahrsten Sinne des Wortes, während ich mich nur auf meine Aversion gegen Homosexuelle konzentriert habe. Ich habe im Umgang mit denen einfach nicht so viel Erfahrung wie du. Wie dem auch sei, Carcaño sagt jedenfalls, dass du jetzt das Sagen hast, und ich halte mich zurück.«
»Wir teilen uns auf. Einer überwacht Judith, der andere geht noch einmal zum Hotelmanager und entlockt ihm mehr Informationen.«
»Du nimmst die Tunte. Was willst du von dem Ho teltypen wissen?«
»Als Erstes seinen Namen. Obwohl du den eigentlich schon wissen müsstest.«
»Beleidigen brauchst du mich nicht gleich, du Witzbold. Er heißt Benjamín Sánchez.«
»Frag ihn, wie gut er Roberto und Efrén kannte, ob sie öfter zusammen da waren. Frag ihn meinetwegen sogar, ob die Zimmernummer eine Unglückszahl war. In jeder Richtung können wir auf Details stoßen, die uns weiterhelfen.«
»Ich hatte dich schon vermisst, Gil Baleares«, grinste Wintilo. »Hab ich nicht immer gesagt, dass es der größte Fehler deines Lebens war, die Polizei zu verlassen? Da draußen wärst du mir eines Tages verhungert.«
Vermutlich hatte er recht, deshalb nahm ich ihm seine Offenheit nicht übel.
»Ich kenne da eine Cantina, die gerade aufgemacht hat. Wenn man drei Bier mit Tequila trinkt und noch gerade laufen kann, bekommt man das Essen umsonst. Da treffen wir uns gegen fünf«, schlug er vor.
»Wir müssen nüchtern sein. Wir treffen uns bei mir.«
Er stieg ins Auto und fuhr davon.
Ich nahm die Metro nach Hause. An der Station Pino Suárez musste ich durch eine Passage, die die blaue Linie mit der rosa Linie verbindet. Ich hatte immer noch einen Kater von den letzten Zechtouren und brauchte dringend Sauerstoff. Also lehnte ich mich im unüberdachten Innenhof der Metrostation an das Geländer gegenüber der Pyramide, bei der ich mich immer schon gefragt hatte, ob sie echt war oder aus Zement.
Millionen von Menschen kommen jeden Tag an diesem Ort vorbei, und auf der anderen Seite des Geländers stand ausgerechnet meine Exfrau. Bei unserer letzten Begegnung hatte sie gesagt, dass sie nie wieder auch nur auf hundert Meter in meine Nähe kommen wollte. Nicht, nachdem ich ihren Freund entlarvt hatte, der vorgegeben hatte, Krebs zu haben, sich in Wirklichkeit aber eine Syphilis eingefangen hatte.
Sie war diejenige, die auf mich zukam. Wir grüßten uns. Ich fragte sie nach der Tochter.
»Sie wächst. Und du?«
»Mal so, mal so …«
Ich suchte in ihren Augen nach einem Indiz für Mitleid oder Verachtung. Aber da war nichts.
»Hat mich gefreut, dich mal wieder zu sehen.« Sie streckte die Hand aus.
Diese Hand erinnerte mich an die andere Hand, die mir am Mittag entgegengestreckt worden war. Mein Blick schweifte zum Bauwerk meiner Vorfahren ab. Ich stellte mir vor, wie ich mit meiner Malinche über die Mauer sprang, um sie auf den Steinstufen zu begatten. Aber Ana war nicht Malinche, und ich war kein Azteke.
»Bis bald«, sagte ich.
»Komm doch irgendwann vorbei und besuch die Kleine. Sie würde sich freuen.«
Das war so etwas wie ein Waffenstillstand, und mein Herz machte einen Sprung. Ich drehte mich um und ging davon, bevor sie es sich anders überlegte. Da sagte sie hinter meinem Rücken etwas Seltsames.
»Adiós, Zwiebelmann …«
Es war einer dieser Momente, in denen man nicht versteht, was gemeint ist, aber auch nicht fragen will, und daher lächelt, als hätte man den Witz kapiert.
Auf halbem Weg zur rosa Metrolinie hatte ich
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