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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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und konzentrierten sich wie besessen auf eine einzige Aufgabe. Sie alle wirkten wie von der Arbeit benebelt, und es lag etwas Unbeholfenes in ihrer Art, sich zu bewegen, zu gestikulieren und miteinander zu kommunizieren.
    Der Arbeiter führte uns in ein Büro, dessen Winzigkeit in krassem Kontrast zu den Ausmaßen der Fabrikhalle stand. Nur mit Mühe passten ein Schreibtisch und ein kaputter Stuhl hinein. An den Wänden hingen Korkplatten, an denen mit Reißzwecken Rechnungen, Notizen, Kalender und Anschläge befestigt waren.
    Als der Fabrikleiter eintrat, kam ich sofort zur Sache und sagte ihm, dass wir nicht mit ihm, sondern mit Delfino Paredes sprechen wollten.
    Das Lächeln wich langsam aus seinem Gesicht.
    »Er hatte einen Unfall.«
    »Was für einen Unfall?«
    »Einen tödlichen. Aber es hat alles seine Ordnung, klar? Wir haben seine Witwe ausbezahlt, wie es das Gesetz vorschreibt. Sind Sie deswegen hier? Wollen Sie, dass ich Ihnen die Papiere zeige? Die Witwe hat sie unterschrieben.«
    Ich versicherte ihm, wir seien nicht hier, um über den Unfall zu sprechen, aber er bestand dennoch darauf, uns das Dokument zu zeigen, mit dem die Witwe siebzehntausend Pesos als Entschädigung akzeptierte. Das würde ihr genau für den Holzsarg, den Trauerkranz und den Friedhof reichen.
    »Wie ist es zu dem Unfall gekommen?«, fragte ich, inzwischen doch neugierig geworden.
    »Eine Unachtsamkeit seinerseits. Er hatte das Sicherheitsgeschirr nicht angelegt, aber wir wollten uns solidarisch zeigen und haben uns trotzdem bereit erklärt, der Witwe unter die Arme zu greifen …«
    »Können wir uns in der Fabrik umsehen?«, fragte Wintilo.
    »Wozu?«
    »Um zu sehen, wie hier gearbeitet wird.«
    »Das ist nicht erlaubt. Zu Ihrer eigenen Sicherheit.«
    »Noch irgendwas, das Sie uns zu Delfino Paredes sagen möchten?«
    »Er möge in Frieden ruhen. Er war ein guter Junge und hat immer fleißig gearbeitet.«
    Der Arbeiter brachte uns wieder auf die Straße hinaus. Nachdem er das Tor hinter uns geschlossen hatte, hörten wir, wie er eine Kette vorlegte.
    Jemand lief hinter uns her, und wir blieben stehen, damit er zu uns aufschließen konnte. Es war ein anderer, jüngerer Arbeiter.
    »Kann ich mit Ihnen sprechen?«
    Wir nickten.
    Er sah sich um und vergewisserte sich, dass ihm niemand gefolgt war.
    »Es war kein Unfall. Delfino wurde umgebracht.«
    »Wer hat ihn umgebracht?«
    »Das Geschirr war alt und ist gerissen. Deshalb ist Delfino abgestürzt.«
    »Hast du ihn gut gekannt?«, fragte ich.
    »Mehr oder weniger.«
    »Was heißt mehr oder weniger?«
    »Wir haben zusammen in der Fabrikmannschaft Fußball gespielt.«
    »Kanntest du eine Freundin von ihm, die Maika hieß, oder einen Freund namens Roberto Oviedo?«
    Der Arbeiter schüttelte den Kopf.
    »Eins verstehe ich nicht«, sagte Wintilo. »Aus welcher Höhe ist Delfino abgestürzt?«
    »Eineinhalb Meter …«
    »Ist er auf den Kopf gefallen, oder was?«
    »Er ist in einen Schmelzofen gestürzt, mitten in die rote Glut.«
    »Heilige Scheiße!«
    »Diese Dreckskerle haben ihn getötet, indem sie an der Ausrüstung gespart haben. Warum kommen Sie nicht und schauen sich an, unter welchen Bedingungen wir hier arbeiten?«
    Wir rieten ihm, Anzeige beim Schiedsgericht für Arbeiter und Arbeitgeber zu erstatten. Er sah uns nur enttäuscht an, spuckte auf den Boden und wandte sich zum Gehen.
    »Hör mal!«, rief Wintilo. »Wie habt ihr seinen Körper eigentlich aus dem Schmelzofen geholt?«
    Im Gesicht des Arbeiters war tiefe Trauer zu lesen, als er sagte: »Wir haben gar nichts rausgeholt.«

 
     
     
     
     
     
    I ch hätte nicht wieder aus dem Labyrinth herausgefunden und war froh, dass Wintilo das Kommando übernahm und mir sagte, welche Straßen ich nehmen sollte. Der Kerl war plötzlich schlecht gelaunt. Vor einer Mauer mit einem Tor, an dem erkennbar die Sonne genagt hatte, ließ er mich anhalten. Er klopfte ans Tor. Eine korpulente Frau mit Händen und Armen voll Seifenwasser und Schweißperlen auf der Stirn machte uns auf. Als sie Wintilo sah, wurde ihr Blick hart.
    »Und Petra?«, fragte Wintilo ebenso hart.
    »Drinnen.« Die Frau drehte sich um, und wir folgten ihr durchs Tor.
    Das Grundstück war groß, vielleicht zweitausend Quadratmeter. Wintilo bat mich zu warten und ging zu einem kleinen Wohnhaus, dessen Türen aus zwei schäbigen Vorhängen bestanden. Ich beobachtete die Frau, die wieder an ein Waschbecken getreten war und sich darüber beugte, um Wäsche zu waschen. Ihr

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