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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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begleitete, und wenn dann die Sonne unterging und der Bus weiter Kilometer fraß, begrapschte er die Erste, die ihn ranließ, ganz egal, ob sie hässlich war. Seiner Meinung nach ging es ohnehin nur darum, Titten zwischen die Finger zu kriegen, und Feuchtigkeit. Ich hingegen ging leer aus, wie immer, und betrachtete die düstere Landschaft, die draußen vorbeizog, versunken in meine eigene Welt. Dabei kann ich nicht von mir sagen, dass ich ein vernachlässigtes Kind gewesen wäre, ich hatte alles, vor allem Widersprüche: Spielzeug und Zigaretten, Reisen nach Disneyland und nach Las Vegas. Zerlumpte Kindermädchen und Putzfrauen, die vorher die Luxushuren von Politikern gewesen waren. Partys mit jeder Menge Freunden, die ich vor meinem Geburtstag noch nie gesehen hatte, oder Partys allein auf dem Dach der Villa, in der die Ganoven der damaligen Polizei rauschende Feste feierten. Dort saß ich, betrachtete die Tiger in ihrem großen Garten, wie sie an ihren Ketten verrückt vor Trübsinn hin und her schlichen, trank mit meinen dreizehn Jahren den Whisky des Schahs von Persien, der in Mexiko im Exil war, und wartete darauf, dass mein Vater endlich fertig war mit Lachen, Trinken, Große-Töne-Spucken, dass das Trinkgelage im großen Salon des Hauses endlich ein Ende fand. Perro, Perrito, Baleares nannten sie ihn, einige, weil sie auf Begünstigungen aus waren und sich ins Gespräch bringen wollten, andere, die hohen Tiere, um ihm Befehle zu erteilen, die er stets zur vollsten Zufriedenheit ausführte.
    Und wenn das Saufgelage zu Ende war, trat er in den Garten hinaus und blickte zur Dachterrasse hinauf. Komm runter da, Kleiner, sagte er zu mir, wir gehen. Der Mann war sternhagelvoll, aber man merkte es ihm nie an. Geschickt lenkte er seinen 74er Camaro durch die Stadt. Seine Arme waren dick, seine Haut wie Leder, seine Augen hell und scharf. Diese Schärfe hat ihm der Alzheimer auf beeindruckende Weise genommen. Und er sagte, schau gut hin, Kleiner, hier kannst du was lernen: Man muss spät kommen und früh wieder gehen. Denn wenn du früh kommst und spät gehst, bist du ein Idiot, ein Nobody, ein Ärgernis. Er sah auf die Autouhr. Wenn es zwei Uhr morgens war, fuhren wir nie direkt nach Hause. Damals war unser Zuhause noch ein richtiges Haus, groß und geräumig. Es löste sich in Rauch auf, verschwand spurlos wie alles, was mein Vater sich unrechtmäßig angeeignet hatte.
    Auf dem Markt von San Cosme aßen wir unsere nächtlichen Tacos, und der Perro unterhielt eine Affäre mit der Tacoverkäuferin, genau wie mit der Animierdame und der Witwe und so vielen anderen, die meine Mutter hätten sein können. Eine davon war es. Ich habe nie erfahren, welche.
    Ich wollte ihn hassen, aber ich konnte nicht, vermutlich weil er mich genau wie jeden anderen zu kaufen wusste. Oder weil er sich mir gegenüber wie ein übermäßig toleranter Kumpel verhielt, was mir als Jugendlicher gut gefiel.
    Der Perro Baleares war der Wintilo seiner Zeit, er wusste denen von oben zu gehorchen und die von unten zu schikanieren. Niemand hielt ihn auf. Er ließ die Calle Viaducto sperren, damit die Söhne der großen Bosse dort Autorennen spielen konnten. Er ließ Nutten aus allen Winkeln der Erde für eine wilde Nacht einfliegen und setzte sie am nächsten Tag wieder in ein Privatflugzeug, beladen mit Pelzmänteln, Dollars und Juwelen, breitbeinig und mit schmerzendem Hintern. Der Perro verwaltete auch die Drogen, ein Teil für seine Leute, ein Teil für die Bosse und einer, der wieder verkauft werden musste. Er selbst probierte nie davon, weil er der Meinung war, Drogen würden den Verstand ausdörren, und den Schwanz. Seine beiden größten Schätze, wie er sagte …
    Aber um wieder zu Wintilo zurückzukommen: Ich nutzte sein Schwelgen in der Vergangenheit dazu, seine Zähne zu betrachten, keine Ahnung warum, aber ich betrachtete sie. Es waren dieselben Zähne, die er mit dreizehn gehabt hatte, aber jetzt, wo er kein Kindergesicht mehr hatte, wirkten sie weniger bedrohlich. Ich erinnerte mich, wie er einmal in eine Prügelei mit einem größeren Jungen geraten war, der gleich mit einem dumpfen Faustschlag eröffnet und Wintilos Kopf gehörig zum Klingeln gebracht hatte. Als Wintilo klar wurde, wie schlecht seine Chancen standen, ging er mit Bissen auf den größeren Jungen los. Hier wurde mir die Verbindung klar: Wintilo erinnerte mich an den Perro.
    Nachdem ich ihn gedrängt hatte, endlich aufzuessen, fuhren wir ins Hotel Emporio. Wir hatten

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