Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
Vom Netzwerk:
mehr Glück als erwartet. Ein bis zur Unkenntlichkeit entstellter Benjamín mit blau verfärbten, zugeschwollenen Augen und grotesk vorstehender Hüfte rechnete gerade mit einem Angestellten hinter der Empfangstheke ab. Auf dem Boden stand ein Koffer. Wie es schien, machte er sich zur Flucht bereit.
    Als er uns sah, wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. Der Angestellte verzog sich.
    »Bitte schlagen Sie mich nicht mehr«, flehte Benjamín.
    »Gib uns Namen, dann gehen wir wieder«, sagte ich. »Mit wem hat sich Roberto sonst noch getroffen?«
    »Was weiß denn ich?«
    Wintilo gab dem Stuhl, auf dem Benjamín saß, einen Tritt. Der blinzelte und sang: »Carmelo! Dario! Jorge! Tobías! Rubén! Es gab so viele. Einige kamen mit ihm zusammen, andere habe ich nie zu Gesicht bekommen, aber Roberto hat mir von ihnen erzählt.«
    »Er war also deine kleine Freundin?«, fragte Wintilo.
    »Sagen wir mal, ich hörte mir seine Probleme an.«
    »Ach, wie niedlich. Und getröstet hast du ihn mit Reiterspielchen?«
    »Halt die Klappe!«, befahl ich Wintilo und fragte Benjamín, von was für Problemen ihm Roberto erzählt habe.
    »Von Problemen mit seinen Verehrern …«
    Ich bat ihn, auf ein Blatt Papier zu schreiben, wo wir jeden einzelnen von diesen Typen finden konnten. Er sagte, er werde sich bemühen.
    »Wir auch«, warnte ihn Wintilo. »Wir bemühen uns sehr, dich nicht ins Bad zu schleppen, die Stromkabel aus den Wänden zu reißen und sie dir in den nassen Hintern zu stecken, bis er qualmt.«
    Benjamín begann, die Namen aufzuschreiben, aber seine Faust zitterte. Er konnte einfach nicht, wenn Wintilo neben ihm stand. Einen Namen strich er sofort wieder durch. Wintilo wollte wissen, warum.
    »Weil ich ihn falsch geschrieben habe«, sagte er.
    »Pass gefälligst besser auf, du Stricher. Oder ich bringe dir bei, mit dem Stift im Arsch zu schreiben.«
    Ich nahm die Liste und sah sie durch.
    »Mit welchem fangen wir an?«
    »Kann ich jetzt gehen?«, fragte Benjamín.
    »Schön langsam.« Wintilo packte ihn am Ohr wie einen kleinen Jungen. »Du hast doch gehört, was mein Partner gesagt hat. Also nummerier die Scheißnamen, und fang mit dem an, mit dem der Stricher am engsten befreundet war.«
    »Es gab nur einen, der etwas Besonderes zu sein schien. Delfino Paredes. Und dann kamen alle anderen.«

 
     
     
     
     
     
    I n Tlalnepantla sind die Straßen gewunden, weil sie immer wieder vor Fabrikschuppen jeder Art enden, die nach Lust und Laune in die Gegend gebaut werden, von der Gießerei bis zum Montagewerk für Autos und andere Maschinen, die ihrerseits Maschinen produzieren. Überall atmet man Rauchwolken ein, und es fällt schwer, zu entscheiden, wonach es riecht, weil sich Schmieröl, Reinigungsmittel, Parfum und Säuren gegenseitig die Luft streitig machen. Die Sträucher vegetieren dahin wie leukämiekranke Kinder in einem Gebäudetrakt für Schwerkranke: Sie haben keine Zukunft, aber zum Sterben reicht es auch nicht. Der Wind rüttelt mit Leichtigkeit an ihnen, bis ihre Zweige und die grauen Blätter traurig herabfallen. Und als hätten sie nicht schon genug zu leiden, erleichtern sich auf der Erde um sie herum die Straßenhunde.
    Aber die Lieblichkeit der Landschaft war nichts im Vergleich zu Wintilos Gejammer. Seiner Ansicht nach hatte ich die Büchse der Pandora geöffnet, indem ich Benjamín um die Namen bat. Ich musste ihm recht geben, der Ermittlungsradius war viel zu groß. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich von Ermittlungsmethoden einen Dreck verstehe. Ich lasse mich teils von meiner Intuition, teils von Impulsen leiten, genau wie jede Großstadtratte.
    Was ist schlecht daran, zu improvisieren? Diese kaputten Straßen, die urplötzlich an der Mauer einer Fabrik endeten, waren schließlich auch improvisiert, aber deshalb existierten sie nicht weniger. Irgendwohin führten sie immer, und wenn es in eine Sackgasse war.
    Wir brachten den Datsun vor einer Fabrikhalle mit der Aufschrift Gießerei und Schmelzerei Chafiro & Brüder zum Stehen. Nachdem Wintilo seine ›Senf‹-Akkreditierung gezeigt hatte und ich meine hässliche Kriminalpolizistenvisage, führte uns ein Arbeiter eine Treppe hinauf, von der aus wir ins Innere der Fabrik blicken konnten. Riesige Schmelzbecken vibrierten, als befände sich in ihnen eine Horde Dämonen, die hinauswollte; Maschinen, die in der Lage gewesen wären, ein Schiff zu zermalmen, brüllten wütend; Arbeiter bewegten sich von hier nach da, aber die meisten standen still

Weitere Kostenlose Bücher