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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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dieser Typen, die schwarz gebrannte CDs verkaufen und für sie werben, indem sie die Lieder in voller Lautstärke abspielen. Die Metro war viel zu voll, die Gesichter glichen sich bis zur Anonymität. Mir juckte der Mund vor Schweiß, und im Hintern spürte ich ein nervöses Kitzeln.
    Ich hielt in allen Richtungen nach Robertos Gesichtszügen Ausschau, aber ich hatte sie mir noch nicht gut genug eingeprägt, und es gab gleich mehrere Gesichter, die ihm ähnelten. Vorsichtig schob ich mich den Gang entlang, gefolgt von dem Kerl mit dem verdammten Megafon.
    Die Metro hielt an, und die Türen gingen auf. Ich entdeckte das dunkelgrüne Sweatshirt und sah, wie es sich aus dem Waggon bewegte. Nachdem ich ebenfalls ausgestiegen war, sah ich Roberto schon im Laufschritt auf die Treppe zugehen. Er blieb stehen, als er Wintilo entdeckte, der von oben auf ihn zukam.
    Es gab kein Entrinnen für ihn, es sei denn, er warf sich auf die Gleise.
    Genau in diesem Moment erschien die eiserne Nase des Gegenzugs am Bahnsteig. Niemand konnte die Zukunft aufhalten. Wenn Roberto entschlossen war, sich vor den Zug zu werfen, würde er es tun. Vielleicht hatte er das tatsächlich vor, zumindest blickte er sehnsüchtig und voller Verzweiflung auf die Gleise.
    Wintilo blieb nichts anderes übrig, als seine Pistole auf den Boden zu legen und die Hände zu heben, damit Roberto keine falsche Entscheidung traf.
    Die Metro fuhr donnernd vorbei, und Roberto stand immer noch an derselben Stelle. Ich ging auf ihn zu. Er steckte eine Hand in sein Sweatshirt und zog eine Pistole Kaliber 22 heraus. Wintilo nahm überrascht zur Kenntnis, dass er sie auf mich richtete. Die Augen des jungen Mannes glichen denen der kaputten Jungfrau, auch sie blickten mich mit diesem Ausdruck an, der zu sagen schien: Die Menschheit ist unrettbar verloren. Er drehte die Waffe um und überreichte sie mir mit dem Knauf voran. Dann gab er mir einen heftigen Kuss auf die Lippen.
    Ich machte zwei Schritte nach hinten. Roberto warf mir einen dreisten, amüsierten Blick zu.
    Irgendetwas veranlasste mich, über die Szenerie hinauszublicken. Auf der anderen Straßenseite stand Aníbal Carcaño neben seinem Auto, als wartete er auf etwas.
    Wintilo packte Roberto beim Hosenboden.
    »Jetzt gehört dieser kleine Scheißkerl uns … Nein«, sagte er, als ich ihm folgen wollte, »geh erst mal eine Runde spazieren. Wir reden später …«
    Er trug ihn davon wie ein Federkissen. Ich rührte mich einige Minuten lang nicht vom Fleck, bewegte nicht einmal einen Finger, um mir das Jucken vom Mund zu wischen. Die Kaliber 22 passte genau in meine Hand. Sie war noch warm, weil sie in seinem Sweatshirt gesteckt hatte.
    Wenig später kam Wintilo mit Roberto auf der Straße an, bei Carcaño und dem Auto. Ich beobachtete sie vom Bahnsteig aus, bis eine Kolonne Autos und Minibusse mir den Blick versperrte.
    Die nächste Metro kam. Ich stieg ein.
    Ein anderer Musikverkäufer attackierte die Ohren der Leute mit fünftausend Dezibel, er hatte Disney-Soundtracks im Programm.
    Ich bekam Lust, die 22er zu ziehen und ihm einen Schuss in die Stirn zu verpassen.

 
     
     
     
     
     
    I ch zog die Möglichkeit, einige Geldscheine für mich zu behalten, nicht einmal in Erwägung und packte das ganze Geld in einen Rucksack. Anschließend griff ich nach der Kaliber 22 und verstaute sie zwischen meinen Beinen, wobei ich Judiths Vorgaben folgte, wie man sein Glied so zwischen den Beinen versteckt, dass alles glatt aussieht. Es würde nicht leicht werden, die Pistole schnell genug aus der Unterhose zu ziehen – keine falschen Schlüsse: Ich hatte sie mir natürlich nicht in den Hintern gesteckt –, aber ich wusste einfach kein besseres Versteck. Besonders gut war das Ergebnis nicht: Das Päckchen zwischen meinen Beinen gab mir das Aussehen eines Lustmolchs.
    Meine alte 45er bewahrte ich wie immer neben meinem Herzen auf.
    Im Auto folgte ich der Wegbeschreibung, die mir die metallische Stimme zuvor gegeben hatte. Mein Herz schlug stoßweise, nicht aus Angst vor den Ganoven, sondern weil ich vielleicht meinen Vater wiedersehen würde, ein Jahr älter, noch vergesslicher, noch unverschämter. Vielleicht würde ich ihn nur retten, um ihn dann am Fortschreiten seiner Krankheit zugrunde gehen zu sehen. Scheiße, hatte es überhaupt einen Sinn, ihn zu holen? Ich war mir ganz und gar nicht sicher.
    Dieses Geld konnte mich weit bringen, kilometerweit weg vom Alzheimer, vom Ekel, den ich bei meiner Arbeit als

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