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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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Mund aufzumachen und all diese schönen und harten Worte hinauszuheulen. Warum konnte ich nicht dasselbe mit meinem Leben tun?
    »Sollen sie dich doch in den Arsch ficken, Pater Pila«, sagte ich und hob meinen Drink.
    Das Schnurren von Rhett Butler führte mich sanft in die verschlungenen Gänge der Traumwelt hinab. Und obwohl die Wände dieser Gänge dieselbe Farbe hatten wie das Leichenhaus, in dem Palanca in den Toten herumstocherte, verschwammen nach und nach die Konturen.
    Teresa, Saúl, die Katze und ich würden uns einen sicheren Bau graben und uns vor der größten Plage in Sicherheit bringen, die es gibt: dem Menschen.

 
     
     
     
     
     
    Z ehn Uhr morgens.
    »L inks. Rechts. Ich sagte links, bist du taub, du verfluchtes Arschloch?«
    Ein paar ordentliche Ohrfeigen hätten seiner Überheblichkeit sicher einen Dämpfer versetzt, aber irgendwie tat er mir leid: Auf seinem Gesicht lag ein verbitterter Ausdruck, und unter seiner Haut lauerten die Tränen nur darauf, seine Poren zum Platzen zu bringen.
    Er hatte mich um sieben Uhr morgens angerufen und gesagt, er würde mir alles unterwegs erklären. Als er kam, schien er allerdings nicht mehr an Erklärungen interessiert zu sein, nur daran, mich wie seinen Dienstboten zu behandeln. Zwanzig Minuten später hatten wir Tlalnepantla erreicht. Er musste mir keine Anweisungen geben, ich fuhr von selbst zu dem Haus und stellte den Motor ab. Die plötzliche Stille schien Wintilo aus dem Gleichgewicht zu bringen, denn er sah mich mit Augen an, die mit beißendem Salz gefüllt zu sein schienen.
    Das Tor zum Grundstück stand sperrangelweit offen, und ich brauchte nicht lange, bis mir klar wurde, dass es hier gewaltig nach Trauerfeier roch. Einige Kinder spielten diskret in einer Ecke, die Erwachsenen tranken Kaffee, Likör, Erfrischungsgetränke. Wie beim letzten Mal sagte Wintilo, ich solle im Hof auf ihn warten. Er ging auf eine Gruppe Männer zu und umarmte jeden Einzelnen von ihnen. Die Umarmungen waren von unterschiedlicher Intensität, einige herzlich, andere kalt wie Eis.
    Dann betrat er das Haus.
    Ich wollte zurückgehen, um im Auto zu warten, aber eine Frau schloss gerade das Tor, also machte ich kehrt und ging wieder in die Mitte des Hofes zurück, wo ich mir beobachtet vorkam. Ich beschloss, ebenfalls ins Haus zu gehen, und schob mit einer Hand den Vorhang beiseite. Dahinter war in einem beengten Wohnzimmer der Sarg aufgebahrt, weiß und klein.
    Wintilo sah mich kaum an. Eine alte Frau sprach leise auf ihn ein. Er nickte und rieb sich die Augen, während er die Mundwinkel zu einer mitleiderregenden Grimasse nach unten zog.
    Ich bereute, nicht im Hof geblieben zu sein. Als das Handy in meiner Hosentasche klingelte, ergriff ich eilig die Flucht.
    »Hallo, mein Zuckerbäcker …«
    Es war Judiths Stimme.
    »Können wir uns sehen?«
    »Ich stecke mitten in einer Totenwache.«
    Sie brach in schallendes Gelächter aus. Ich sagte, es sei kein Witz.
    »Roberto hat mich angerufen.«
    Lautes Gehupe hinderte mich daran, ihr weiter zuzuhören. Mein Auto stand vor der Einfahrt. Während ich hinging, um es wegzufahren, bat ich Judith, nicht aufzulegen. Aber es war schon zu spät.
    Nachdem ich das Auto zur Seite gefahren hatte, fuhr ein Leichenwagen rückwärts in den Hof hinein.
    Wieder klingelte mein Telefon.
    »Wo ist er?«, fragte ich.
    »Wo bist du, Gil?«
    »Hör auf mit den Spielchen und antworte mir: Wo ist Roberto?«
    »Wenn du mich schlecht behandelst, sage ich dir gar nichts.«
    »Jetzt red endlich, du blöde Tunte!«
    Judith legte auf. Ich bereute, sie beleidigt zu haben.
    »Fahren wir«, sagte Wintilo.
    Ich war kurz davor, ihm von Judiths Anruf zu erzählen, aber sein Gesicht sah immer noch aus, als lauerten die Tränen direkt unter seiner Haut und seien kurz davor, sie zum Platzen zu bringen. Er rieb sich mit den Daumen die Augen, als wollte er sie herausreißen.
    »Jetzt fahr endlich, du verfluchter Idiot, und schau mich nicht so an!«, befahl er.
    Einige Kilometer und Minuten später hatten wir uns einer Autoschlange angeschlossen, die im Schritttempo dem Leichenwagen folgte. Es war dermaßen heiß, dass einem das Gehirn schmolz, und wir würden wer weiß wie viele Stunden brauchen, bis wir endlich ankamen. So ist es immer. Das, was nach dem Tod bleibt, ist langsam, beklemmend.
    »Hast du Kinder, Gil?«
    »Ich glaube ja.«
    »Was heißt das?«
    »Eins, zwei, ich weiß es nicht.«
    »Du bist doch verrückt … Das warst du schon immer. Verrückt und

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