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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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alle Mütter der Welt, sogar an Mama Bayou, auch wenn sie vielleicht gar nicht existiert.
    Und diese Gedanken schnürten mir das Herz zusammen.
    Ich machte ein paar Bewegungen, schaffte es, mich aufzusetzen, und rüttelte am Kopfteil, bis ich es aus seiner Verankerung gerissen hatte. Dann stand ich auf. Ich schleifte das Kopfteil hinter mir her und versuchte, mir nicht die Hand zu verletzen, die daran gekettet war. Die Pistolen lagen neben Wintilo. Mein Plan war, mir eine davon zu schnappen und die Handschellen durchzuschießen.
    Wintilo hob den Kopf. Er schwitzte stark.
    »Der Ball, Gil. Siehst du ihn? Er dreht und dreht und dreht sich …«
    Seine Augen nahmen wieder den hypnotisierten Ausdruck von dem Tag an, als er den Ball auf seinen Fingern hatte tanzen lassen. Aber dieses Mal blieben sie so.
    Ich griff nach meiner 45er und zielte auf die Kette, aber das Magazin war leer. Bei Wintilos Waffe war es das Gleiche. Die 22er war nirgendwo zu sehen.
    Es gelang mir, mit dem Kopfteil im Schlepptau in das andere Zimmer zu gehen. Mit der freien Hand holte ich die Geldbündel aus dem Rucksack und stopfte sie mir hastig ins Hemd. Alle außer eins, das mir auf dem Flur herunterfiel. Ich wollte schon zurück, um es aufzuheben, als ein großer, kräftiger Typ mit schwarz bemaltem Mund und schwarz umrandeten Augen in der Haustür erschien. Aníbal Carcaño. Ich nutzte das Überraschungsmoment und stürzte mich auf ihn, mit dem Kopfteil voraus.
    Wir fielen in den Innenhof, wo das Kopfteil in Stücke ging. Aber meine Hand war immer noch an eine Holzlatte gekettet. Wir rappelten uns hoch, und Carcaño klappte ein Friseurmesser auf. Den ersten Hieb führte er kraftlos aus, desorientiert vom Sturz, er verfehlte mich. Ich rannte zu dem Hof, in dem die Party stattfand, aber meine Beine bewegten sich in unterschiedliche Richtungen wie die eines Betrunkenen. Wild mit dem Messer fuchtelnd, warf sich Carcaño auf mich. Einige Messerstiche zersplitterten die Latte, die ich schützend vor mich hielt, andere zerschnitten mir die Hände. Der Schmerz war so unerträglich und so unmittelbar, dass ich nicht schreien konnte.
    Die Leute starrten uns ungläubig an, und die Party verharrte wie eingefroren, während das Lied von der Cowboymaus in voller Lautstärke weiterlief: » Zwei Schüsse in die Luft macht die Cowboymaus, fängt die Kugeln mit dem Mund und spuckt sie wieder aus.«
    Carcaño hieb wieder mit dem Messer nach mir, wobei er weit und kreisförmig ausholte. Eine Frau in bauchfreier Kleidung mischte sich ins Geschehen, um ein Kind in weißem Kostüm aus der Gefahrenzone zu ziehen, und blickte verblüfft nach unten: Quer über ihren Bauch zog sich eine lange und sehr feine rote Linie.
    »Lola!« Zwei Frauen rannten herbei, um ihr beizustehen. Sie sank ihnen völlig entkräftet in die Arme.
    Ein Mann griff sich eine Stange, die in einer Ecke lehnte, und ging langsam auf Carcaño zu. Dieser schien vergessen zu haben, dass er ein Messer in der Hand hatte, und ließ zu, dass der Mann ihm die Stange über den Kopf zog. Es klang, als würde man eine riesige Nuss knacken. Trotzdem blieb Carcaño auf den Beinen. Einige Männer und Frauen begannen, Messer von den Tischen zu nehmen, Steine vom Boden, Stangen, die an den Wänden lehnten.
    Das Riesenkaninchen versteckte sich hinter einem Baum und heulte. Und ich machte mich eilig aus dem Staub, bevor es mich für einen Jäger hielt.

 
     
     
     
     
     
    I ch wollte so schnell wie möglich ins Bad, aber ich schaffte nur zwei Schritte, bevor ich mich heftig übergab, in Übelkeitsschüben, die eine Ewigkeit andauerten. Ich betrachtete meine Hände, die unkontrollierbar zitterten. Zwei enthäutete Pranken. Ich zog die Geldbündel aus dem Hemd und ließ sie auf den Boden fallen. Dann presste ich die Hände zusammen, bis das Blut aus ihnen herausfloss. Es klang, als würde man ein nasses Stück Wollstoff auswringen. Es bereitete mir Vergnügen, zuzusehen, wie meine Hände sauber wurden, wie intakte Hautpartien zum Vorschein kamen. Aber diese Haut färbte sich sofort wieder rot, es war ein grelles, schockierendes Rot. Ich dachte jedoch nicht an das Blut und auch nicht daran, wie tief diese Wunden waren, sondern an das Geldbündel, das ich im Haus zurückgelassen hatte. Wie viel es wohl gewesen war? Dreißig-, fünfzigtausend Pesos? Wie viele Tage Urlaub hätte ich mit diesem Geld machen können? Wie viel Geld würde ich bis zu dem Tag wieder ansparen können, an dem die Entführer des Perro sagten,

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