Schwarze Küsse
dich dieser Drecksack von Roberto vor Carcaños Augen küssen? Verdammt, diese Stricher kriegen einfach nie genug! Der Boss sagte zu mir: Es gibt da einen letzten Kater, der mir nicht aus dem Kopf will. Einen, der mich in meinen Albträumen verfolgt. Damit kann ich nicht leben, ich kann es einfach nicht, Wintilo. Ich weiß, dass Gil wie dein Bruder ist, aber wir müssen ihn aus meinen Gedanken verbannen, und vor allem aus den Gedanken meines süßen Roberto … Der Kuss ist also schuld daran, dass du hier bist. Der Boss wird auch gleich da sein … Sicher, dass du nicht einen letzten Whisky möchtest?«
»Ich trinke nicht mit Arschlöchern.«
»Dann steh auf und leg dich neben die Nutte …« Wintilo zog beide Pistolen, seine und meine, und dirigierte mich damit zum Bett.
Das kalte Blut auf den Laken jagte mir einen Schauder über den Rücken. Vielleicht würde ich mich nie wieder aus eigenem Antrieb aus diesem Bett erheben.
Wintilo schob Judith zur Seite, die kaum mehr reagierte. Er nahm ihr die Handschellen ab und kettete mich mit einer Hand ans Kopfteil, wobei er die ganze Zeit die Waffe auf mich gerichtet hielt. Danach setzte er sich wieder auf den Stuhl neben dem runden Tischchen, auf das er die zwei Pistolen legte.
»Du hättest diesen Whisky nehmen sollen, Gil Baleares.«
I ch muss etwas zu meiner Verteidigung sagen. Zur Verteidigung der kalten Angst, die anstelle von heißem Blut durch meine Adern floss. Nur wenige Menschen schaffen es heil aus so einer Situation heraus, und einer davon ist mein Erzeuger. Vielleicht. Fast sicher.
Gewiss, der Perro war ein Produkt seiner Zeit. Er kam Mitte der Fünfzigerjahre nach Mexico City, als die Welt noch in Ordnung war und man an allen Ecken Sätze hörte wie »Spuck drauf, damit sich die Wunde nicht entzündet« oder »Geh nie erhitzt auf die Straße, sonst verreckst du beim kleinsten Luftzug«. Damit will ich seine Fähigkeiten nicht schmälern, aber eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern war sicher nicht dasselbe wie eine Stadt mit dreißig Millionen Einwohnern. Ich will auch nicht das wilde Mexiko von damals kleinreden, das Bild vom Desperado zwischen Agaven, aber wenn man den Gerüchten glauben darf, brauchte der Perro so seine Zeit, bis er sich akklimatisiert hatte, als er im Alter von fünfzehn Jahren aus Tecalitlán, Jaliscò, in die Stadt kam. Er fand eine Unterkunft für zwanzig Centavos die Nacht in La Merced und eine Arbeit auf dem dortigen Markt, wo er Säcke mit Gemüse schleppte und lernte, wie man Fische ausnahm, zusammen mit einem Typen, von dem er ständig sprach: Dreifinger-Manuelito. Der hatte zwar eine Hasenscharte, war aber eine unerschöpfliche Sprichwörtersammlung, und umgänglich dazu. Und wenn der Perro diese Arbeit verlor, die für einen jungen Mann aus der Provinz ein Geschenk des Himmels darstellte, dann, weil er sofort Gefallen an der Flasche fand, und an den Nutten, die er ihren Zuhältern mithilfe von Fausthieben und einem Eispickel entriss.
Man könnte meinen, dass ich eine Karikatur zeichne, aber so ist es nicht. Wenn ich es täte, wäre der Perro unbesiegbar gewesen, hätte einen Silberzahn gehabt und wäre im Viertel gefeiert worden wie der Komiker Tin Tan. Nichts davon. Er hatte das Glück, dass ihn in jungen Jahren ein Typ namens Sócrates Potosí aus dem Müll zog, Schläger und Streikbrecher eines korrupten Gewerkschaftsbosses. Er war der erste richtige Vater meines Vaters, denn der andere, der Spanier, der in Tecalitlán zurückgeblieben war, hatte ihm nur seinen Nachnamen vermacht und ein wenig von seinem Aussehen. Es war Sócrates Potosí, der ihm alles beibrachte, was ein Typ, der als Arschloch durchs Leben gehen will, wissen muss. Sich etwas einfach zu nehmen, statt darum zu bitten. Erst zu schießen und anschließend für den Toten zu beten. Zu lachen, wenn man weinen müsste. Und zu weinen, wenn man lachen müsste.
Aber die Kreatur wäre nicht vollständig, wenn man nicht auch seinen anderen Vater erwähnen würde, besser gesagt, seine anderen Väter, die Agentenbande vom Geheimdienst, jener inzwischen aufgelösten Abteilung der mexikanischen Polizei, die ihre Büros und Verhörzellen unter dem Gebäude der Staatslotterie hatte. Dort lernte der Perro zunächst, gefoltert zu werden, und anschließend, selbst zu foltern. Als wir eines Tages, viele Jahre später, die Avenida Reforme entlangschlenderten, blieb er stehen und begrüßte liebevoll einen zittrigen Alten. Im Davongehen sagte er zu
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