Schwarze Orchideen Kommissar Morry
gleichsam über Nacht. Nach allem, was in dieser Stadt in letzter Zeit geschehen ist, müssen die Eltern und auch wir annehmen, daß sie dem geheimnisvollen Mörder zum Opfer gefallen ist. Und nun entdecken wir plötzlich, daß anscheinend nur eine Liebelei dahinter steckt.“
„Bip hat sich gestern von mir verabschiedet. Er hat mir nicht gesagt, daß er mit dem Mädchen auszureißen beabsichtigt. Andererseits hätte er mir auch kaum Mitteilung davon gemacht, wenn das seine Absicht gewesen wäre. Das Verhältnis zwischen uns war ziemlich kühl.“
„Warum?“
„Bip war kein Mann, zu dem man rasch Kontakt fand. Er war spröde und verschlossen. Dabei konnte er einen sprühenden Charme entwickeln, wenn er nur wollte. Frauen fanden Ihn bezaubernd, und selbst Männer waren von ihm angetan. Er war ein tüchtiger Mixer, das muß ich ihm zugestehen. Im Grunde genommen tut es mir leid, ihn verloren zu haben.“
„Wie erklären Sie sich, daß ein Mädchen wie Leslie Carson sich in ihn verlieben konnte? Sie mußte doch wissen, daß er nichts anderes war als ein berufsmäßiger Charmeur.“
„Vielleicht war es gerade das, was sie fesselte“, meinte Natham gleichmütig Nach kurzer Pause fügte er hinzu: „Ich kenne doch diese Mädchen aus ,gutem Hause“. Sie sind so übersättigt! Sie suchen das, was sie für ,Sünde“ halten, sie wollen weg von ihren genormten College-Jünglingen, sie möchten etwas erleben — und genau das wird ihnen von Typen wie Bip geboten!“
„War Leslie allein in Ihrem Lokal ?“
„Sie kam niemals in Begleitung.“
„Kannte Bip auch Joan Barrod und Judy Gemmick ?“ erkundigte sich Bill.
„Ich habe diese beiden Mädchen niemals in meinem Lokal gesehen“, meinte Natham ausweichend.
Bill stieß nach. „Sie halten es aber für möglich, daß Bishop sie gekannt hat?“
„Bei Bip halte ich alles für möglich“, erwiderte Natham.
„Auch einen Mord?“
„Auch das“, sagte Natham ruhig, „aber damit will ich keineswegs behaupten, daß er die Taten begangen hat. Was hätten sie ihm für einen Nutzen bringen sollen? Bip war ein scharfer Rechner, meine Herren.“
„Können Sie nachprüfen, ob er an den Tagen, wo die Mädchen getötet wurden, an seinem Arbeitsplatz war?“ fragte Bill.
„Ja, das läßt sich leicht feststellen. Aber wenn ich richtig orientiert bin, passieren die Morde doch in den frühen Abendstunden, zur Zeit der Dämmerung, nicht wahr? Bip trat seinen Dienst niemals vor neun Uhr abends an, manchmal kam er auch etwas später — meine Auskunft dürfte für Sie also kaum von irgendwelchem Nutzen sein.“
„Wo hat Bishop gewohnt?“
„Gleich um die Ecke, in der Richmond Street, in dem Haus, wo die Schnellwäscherei ist. Er hatte dort ein Zimmer bei Mrs. Scribner.“
*
Zehn Minuten später saßen Bill und ich der hageren, unfreundlich aussehenden Zimmerwirtin in der muffigen Plüschatmosphäre ihres Wohnzimmers gegenüber.
Mrs. Scribner war eine hochaufgeschossene Frau von knapp sechzig Jahren. Sie hatte knochige Schultern, kleine, weit auseinanderstehende Augen und graues, glanzloses Haar, das einen recht ungepflegten Eindruck machte.
„Sicher“, sagte Mrs. Scribner, „das Mädchen hat ihn oft besucht. Was hätte ich dagegen einwenden sollen? Sie war ja immer nur am Nachmittag hier, ehe Mr. Bishop zum Dienst mußte.“
„Wie lange blieb sie im allgemeinen?“
„Eine halbe Stunde. Eine Stunde. Manchmal auch zwei oder drei Stunden. Das war sehr verschieden. In den letzten beiden Wochen kam sie fast jeden Tag.“
„Ist es möglich, daß Mr. Bishop mit Miß Carson abgereist ist?“ fragte Bill.
„Woher soll ich das denn wissen?“
„Sie waren seine Zimmerwirtin — bestimmt hat er Ihnen manches anvertraut.“
„Mr. Bishop?“ Die Frau lachte, als hätte Bill einen besonders gelungenen Witz gemacht. „Da kennen Sie den aber schlecht! Er war ein guter, sauberer Mieter, der immer pünktlich bezahlt hat. Aber ansonsten war er ein Filz. Ich habe ihm manchmal einen Gefallen getan, aber er hat sich dafür nie erkenntlich gezeigt. Trinkgelder? Das gab's bei ihm nicht. Der war ganz scharf hinter dem Geld her, das kann ich Ihnen versichern. Was ist denn los mit ihm? Hat er was angestellt? Ist er deshalb so überraschend abgehauen?“
„Wann ist er abgereist?“
„Heute morgen.“
„Heute morgen erst?
„Ja, wieso ? Überraseht Sie das ?“
„Nein, nein“, erwiderte Bill. „Demnach hat Leslie die letzte Nacht hier im Hause
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