Schwarze Pest aus Indien
die
Lampe über der Eingangstür einzuschalten.
Huch, war das kalt!
Sie huschte los.
Um diese Zeit — logo — herrschte null
Gedränge auf dem Internatsgelände.
Sie eilte am Haupthaus vorbei, dann am
Fahrradschuppen und am Parkplatz.
Die Straße war nachttaufeucht. Bunte
Blätter klebten überall. Jetzt sahen sie freilich so grau aus wie der Nebel,
der Claudia am Tor entgegenwallte.
Sie ging durch die Pforte und fröstelte
bis unter die Rippen.
Deti! dachte sie. Was ich für dich
alles tue. Verhören lasse ich mich. Mein Gewissen belaste ich. Der Nacht und
dem Nebel setze ich mich aus. Hoffentlich wird das keine Erkältung!
Der lappige Jogginganzug wärmte
überhaupt nicht. Auch die Füße wurden kalt.
Schon seit jeher umgibt eine mannshohe
Mauer die berühmte Internatsschule.
Ob sie, die Mauer, verhindern soll, daß
niemand auf das Gelände gelangt oder daß Schüler sich verbotenerweise entfernen
— das ist allen Betroffenen seit jeher unklar.
Ein Jägerzaun hätte es auch getan.
Aber die Schule wurde zu einer Zeit
erbaut, als Internate innerlich und äußerlich den Kadettenanstalten ähnelten,
wo der Offiziersnachwuchs herangebildet wurde. Und die Mauer war so stabil, daß
sie hielt und hielt — abgesehen von wenigen Löchern.
Claudia tappte durch den glitschigen
Nebel.
Die Felder der Bauern reichten bis
hierher.
Wiese, bzw. Weide, umgab das Internatsgelände;
manchmal fraßen sich hier Kühe die Bäuche voll, oder Schafe kauten ab, was vom
Mähen noch übrig war.
Etwa hundert Meter, dachte Claudia.
Sie zählte ihre Schritte, fand aber den
Hollerbusch nicht gleich, weil die Schritte zu kurz waren.
Der Nebel konnte es jetzt mit einer
Hafersuppe aufnehmen, und Claudia tastete umher wie ein blindes Huhn, bis ihr
die Holunderzweige ins Gesicht ferkelten.
Mann, Deti! Das ist wirklich ein Opfer.
Sie hatte sich wehgetan an der Wange,
zwängte sich jetzt hinter den Busch und stieß an die Mauer.
Das Paket steckte in dem Loch.
Claudia zerrte das Paket heraus und
machte sich auf den Rückweg.
Über den Inhalt, die Pockenbakterien,
dachte sie nicht weiter nach.
Knobel hatte ihr versichert, daß sich die
Krankheitserreger unter sicherem Verschluß befanden. Das genügte.
Claudia huschte durch die Pforte.
War dort jemand im Nebel? Ein Schatten?
Erschrocken blieb sie stehen.
Aber der Schatten bewegte sich nicht.
Als sie näher ging, verlor der
Schlehdornstrauch neben der Straße seine menschlichen Konturen und sah wieder
aus wie ein Strauch.
Über das Versteck für die Schwarze Pest
aus Indien hatte die Küchenhelferin bereits nachgedacht.
Ihr Zimmer kam nicht in Frage.
Auf keinen Fall! Schon der Gedanke war
unbehaglich.
Seite an Seite mit diesen Bakterien —
nein! Dann eher mit Kellerasseln, Wanzen und Flöhen.
Claudia hatte sich eine andere
Möglichkeit ausgedacht.
Die 18jährige ging hinter dem
Fahrradschuppen vorbei, durchquerte den Küchengarten, den sich die Chefköchin
angelegt hatte, und schnürte an der Rückfront des Haupfeauses entlang bis zu
dem weitläufigen Anbau, in dem nicht nur — im Hochparterre — der riesige
Speisesaal untergebracht war, sondern auch Großküche und Vorratsräume.
Letztere lagen im Untergeschoß. Und die
Vorräte waren beachtlich. Galt es doch, mehrere hundert Mäuler zu stopfen — und
das dreimal täglich.
Claudia hatte vorgesorgt und eins der
ebenerdigen Fenster von innen entriegelt — vorhin, nach Knobels Anruf.
Sie drückte es vorsichtig auf, kletterte
hinein, legte das Paket auf den Boden, schloß das Fenster.
Hier kannte sie sich aus.
Da sie kaum kochen konnte, sondern
Helferin war, oblag es ihr auch, Vorräte für die Riesentöpfe maßgerecht
abzuwiegen und von hier zur Küche zu bringen.
Claudia mußte kein Licht machen. Sie
fand sich zurecht wie ein Maulwurf unter Tage.
Sie wählte das hinterste Regal, wo
Reissäcke sich stapelten, und versteckte das Paket unter diesem
wohlschmeckenden Grundnahrungsmittel.
Niemand sah die Küchenhelferin, als sie
in ihr Zimmer zurückeilte.
18. Um Haaresbreite
Die Spannung hielt Tim wach.
Hatten sich Kriminalpolizisten an
Claudia wie nächtliche Schatten gehängt? Traf sie sich mit Knobel? War der
vielleicht schon verhaftet?
Tim wälzte sich von einer Seite auf die
andere.
Aber er nahm Rücksicht auf Klößchen und
machte kein Licht.
Auf dem Wecker war es 1.03 Uhr; und der
ging nur wenige Minuten vor.
Egal, dachte Tim. Ich rufe im Präsidium
an. Die vom Nachtdienst können mir
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