Schwarze Piste
sinken.
»Tut mir leid. Ich wollt ja klingeln. Aber dann ist der Hund gekommen.«
»Der heißt Tacitus.«
»Schön. Darf ich jetzt wieder raus?«
»Komm einfach raus. Tacitus ist harmlos.«
Kreuthner drückte sich dennoch in respektvollem Abstand zum Hund nach draußen in den Hof.
»Was willst du?«, fragte Daniela.
»Nichts. Nur schauen. Ich hab gedacht, vielleicht kann ich was helfen.«
»Was denn?«
»Weiß auch net … Irgendwas.« Kreuthner sah sich im Hof um und wurde seinerseits von hundert Augen beobachtet. Bei den Tieren des Hofes hatte sich herumgesprochen, dass ein Fremder gekommen war. Das geschah nicht oft. »Hast du schon die Verwandtschaft angerufen?«
»Nein. Ich will heute niemanden sehen.«
»Ist aber meistens besser, man hat wen zum Reden.«
Daniela ließ das Gewehr sinken und ging zum Haus zurück. Vor der Tür blieb sie stehen und drehte sich zu Kreuthner um. »Danke, dass du vorbeigeschaut hast. Aber ich komm klar.« Sie öffnete die Tür und rief den Hund. Es dauerte eine Zeit, bis er die Strecke mit schaukelnden Lefzen zurückgelegt hatte. Dann fiel die Tür zu, und es wurde still auf dem Hof. Kreuthner blickte zum Himmel auf, sah zwischen den Wolken ein paar Sterne und dachte an seinen Onkel Simon. Vielleicht war es keine schlechte Idee, an diesem Abend dem ererbten Anwesen einen Besuch abzustatten und nachzusehen, was der Onkel an geistigen Getränken versteckt hatte.
»Magst einen Tee?«, sagte eine Stimme in die Stille hinein. Daniela stand am offenen Küchenfenster.
Sie saßen eine Weile zwischen Hunden und Katzen und sagten nichts. Daniela vor einer Tasse Früchtetee, Kreuthner vor einer Flasche Bier, die er dem angebotenen Tee vorgezogen hatte.
»Schöner Hof«, sagte Kreuthner, obwohl es nicht stimmte.
»Danke«, sagte Daniela. »Er ist ziemlich runtergekommen. Aber wir haben kein Geld, um was machen zu lassen.«
»Wie kommst du dazu? Ich mein, dass du hier am Hof lebst? Ist der von deinen Eltern?«
»Von einer Tante. Die hat ihn der Sophie vererbt. Ich bin irgendwann hier raus gezogen, um ihr zu helfen. Sollte eigentlich nur vorübergehend sein. Dreizehn Jahre ist das her.«
»Deine Schwester war einiges älter?«
»Elf Jahre. Sie war eigentlich meine Mutter. Meine richtige Mutter hat immer gearbeitet und keine Zeit gehabt. Alles, was ich weiß und kann, hab ich von Sophie. Irgendwie kann das gar nicht sein, dass sie nicht mehr da ist.« Daniela versank wieder in Gedanken. Sie rührte in ihrem Tee, in dem sich der Löffel Honig schon vor langer Zeit aufgelöst hatte. Ihre Hände waren nicht grob, aber kräftig, so wie es zu erwarten war, wenn jemand täglich Ställe ausmistete. Sie strich eine hellblonde Strähne aus ihrem Gesicht und legte sie hinters Ohr, schluckte und wischte sich ein Auge aus. Kreuthner überlegte, ob er einen Schluck Bier trinken sollte, fand das aber irgendwie unangebracht und betrachtete das Etikett der Flasche, bis er merkte, dass er selbst beobachtet wurde. Eine riesige, außergewöhnlich pelzige Katze, die neben ihm auf der Küchenbank lag, hatte die Augen halb geöffnet und fixierte ihn.
»Es is alles für was gut«, sagte er schließlich. »Ich weiß, das klingt im Augenblick ziemlich daneben. Aber es is so.«
»Nein. Das ist für gar nichts gut, dass sie gestorben ist. Für absolut nichts.« Daniela goss sich noch einen Schnaps ein und hielt Kreuthner fragend die Flasche hin. Der lehnte dankend ab. Er musste vorsichtig sein. Denn es waren neue Kollegen gekommen, bei denen er nicht sicher war, wie sie sich im Fall einer Kontrolle verhalten würden.
»Das siehst erst später. Im Augenblick is es natürlich total schlimm. Aber man muss nach vorn schauen. Vielleicht net heut oder morgen. Aber irgendwann. Und dann sagt man: Mei – ganz umsonst war’s doch net.«
»Du hast doch keine Ahnung. Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie ich mich fühle?«
»Logisch.«
Daniela schüttelte den Kopf. »Wie kannst du das sagen? Ich meine, vor ein paar Stunden ist meine Schwester gestorben. Und du sagst: Klar, kann ich mir vorstellen, wie du dich fühlst. So ganz selbstverständlich. Das macht man nicht.«
»Wenn’s wahr ist.«
»Niemand weiß, wie sich ein anderer fühlt.«
»Wieso nicht?«
»Weil du du bist und nicht jemand anderes. Jeder fühlt anders. Du steckst doch nicht in meinem Kopf.«
Kreuthner wischte mit dem Daumen die Feuchtigkeit vom Etikett der Bierflasche und nahm einen Schluck. Sie schwiegen; zwanzig
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