Schwarze Piste
die Straßen, die näher an der Innenstadt lagen und damit etwas belebter waren. Er musste seine Gedanken sortieren, die Dinge, die zu erledigen waren, in eine Reihenfolge bringen. Da die ganze Geschichte zwangsläufig in einem Desaster enden würde (eigentlich war sie schon mittendrin), gab es lediglich ein vernünftiges Ziel: das Geld. Es war klar, dass nur noch Annette Schildbichler die Macht über das Konto haben konnte. Sie musste die dritte Frau gewesen sein. Daniela war es nicht gewesen, so viel hatte er herausgefunden. In Danielas altem Computer gab es einen Kalender, der bis 2006 zurückreichte. Sie war am vierundzwanzigsten September 2008 auf einem dreitätigen Seminar für Pferdepflege gewesen. Also Annette Schildbichler! Er rief sie sofort aus einer Telefonzelle an.
»Mein Name ist Grieser. Ich bin ein sehr alter Bekannter von Sophie Kramm. Eigentlich ein Freund ihrer Eltern. Als sie noch lebten. Ich habe erfahren, dass Sophie auf ganz schreckliche Weise gestorben ist.«
»Ja, ich weiß«, sagte Annette Schildbichler. »Ich hab sie aber seit langem nicht mehr gesehen.«
»Das tut mir leid. Sie schienen ja befreundet zu sein. Wie dem auch sei: Es ist so, dass mir Sophie vor kurzem einen Brief geschickt hat. In dem Brief war ein weiterer Brief, den ich Ihnen übergeben sollte, falls ihr etwas zustößt.«
»Ist der Brief nur für mich?«
»Ja. Nur für Sie. Sophie schreibt, es wäre lebenswichtig für Sie, dass Sie diesen Brief bekommen. Ich weiß nun wirklich nicht, was das alles zu bedeuten hat. Und ich habe den Eindruck, Sie sollten vielleicht zur Polizei gehen. Aber gut, das ist Ihre Sache. Ich möchte nur diesen Brief so schnell wie möglich weitergeben. Und ich möchte ihn nicht mit der Post schicken, wie Sie vielleicht verstehen.«
»Nein, nein, auf keinen Fall. Wo kann ich Sie treffen?«
»Ich kann zu Ihnen kommen. Ich bin heute Nachmittag am Ammersee.«
»Sehr gut. Können Sie so gegen drei kommen?«
»Ja, das lässt sich machen.«
»Und passen Sie bitte gut auf den Brief auf. Wissen Sie, was drinsteht?«
»Nein. Er ist verschlossen. Und ich will es auch gar nicht wissen.«
»Natürlich. Dann um drei. Sie wissen, wo ich wohne?«
»Das steht auf dem Brief.«
Frank steckte das Handy ein und sah zum Himmel auf. Durch eine dünne Stelle im winterlichen Hochnebel konnte man die Sonnenscheibe sehen. Frank sog die kalte Luft ein und sah sich um. Kälte, Schnee, missmutige Menschen. Das würde er hinter sich lassen und den Rest seiner Tage irgendwo verbringen, wo es warm war und die Leute gute Laune hatten. Er durfte jetzt nur keinen Fehler machen.
Frank hatte die Angewohnheit, bei delikaten Aktionen seinen Wagen nicht unmittelbar am Tatort zu parken. Einmal war es ihm passiert, dass ein Nachbar die Polizei rief, während er jemanden in der Wohnung daneben verprügelte. Frank konnte zwar fliehen. Aber er kam nicht mehr an seinen Wagen, denn der stand direkt vor dem Haus, umrahmt von drei Streifenwagen mit Blaulicht. Als er den Wagen am nächsten Tag abholte, erkannte ihn der Nachbar und gab das Kennzeichen an die Polizei durch. Seine mangelnde Umsicht hatte Frank zwei Jahre wegen schwerer Körperverletzung gekostet. Aber er hatte etwas gelernt.
Als er in seinen Geländewagen stieg, konnte er in sicherer Entfernung die Blaulichter vor dem Apartmenthaus sehen.
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47
N achdem es an der Tür geklingelt hatte, hatte Frank hastig das Messer aufgehoben und war zurück ins Bad gegangen, wo sich Tiffany wieder hinter der Tür verschanzt hatte. Es war nicht einfach, den tödlichen Stich zu setzen, denn das Mädchen schlug um sich, als sei der Leibhaftige in sie gefahren, und bot keine Angriffsfläche. Das Messer schlitzte zwar ihre Arme auf, und der eine oder andere Stich ging in die Schulter. Aber das reichte nicht, um sie zu töten. In dem Chaos versuchte Frank, wenigstens ihre Halsschlagader zu treffen. Aber sie hatte Glück. Ein Schnitt ging wenige Zentimeter daneben. Als die Kommissare schließlich vor der Tür standen und ankündigten, auf das Schloss zu schießen, musste Frank unverrichteter Dinge von seinem Opfer ablassen und durch das Fenster fliehen. Die junge Frau saß auf dem Boden und blutete stark an den Armen und an der Schulter, als sie die Tür zum Apartment aufzog. Im Gesicht: blankes Entsetzen.
Tiffany wurde ins Krankenhaus gebracht. Sie stand unter schwerem Schock und würde für einige Zeit nicht vernehmungsfähig sein. Wallner und Mike bekamen daher weder eine
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