Schwarze Piste
würde er damit machen, wenn sie die Telefonnummer nicht fand? Würde er sie umbringen oder ihr Gesicht entstellen? Wenn er sie tötete, müsste er die Nummer selbst suchen. Würde er das Risiko eingehen? Sie schüttete den Inhalt einer kleinen sechseckigen Schachtel auf den Boden. Es waren Schlüssel darin, alte S-Bahn-Tickets, eine abgelaufene Kreditkarte, zwei Trillerpfeifen aus gelbem Plastik, an deren Herkunft sie sich nicht mehr erinnern konnte, ein Bierdeckel aus dem Bräustüberl in Tegernsee, ein einzelner Handschoner zum Inline-Skaten, ein halber Zettelblock einer Umzugsfirma … Der Bierdeckel! Franzi hatte die Nummer auf den Bierdeckel geschrieben. Sie drehte ihn um, und da war sie. Die Nummer! Tiffany fiel eine so schwere Last vom Herzen, dass sie anfing zu zittern und vor Freude weinte. Verheult ging sie zur Couch und gab dem Mann den Bierdeckel. Der betrachtete ihn und nickte.
Frank hatte die Nummer erkannt. Es war tatsächlich die Nummer von Baptist Kruggers Haus am Taubenberg. Würde sie in die Hände der Polizei fallen, wäre die Sache gelaufen, und Franks Auftrag hätte sich erledigt. Und das wollte ja niemand. »Okay. Sehr schön«, sagte er und setzte einen freundlichen Blick auf, der Tiffany beruhigen sollte. »Passen Sie auf! Es läuft so: Sie drehen sich jetzt um und zählen bis hundert. Dann können Sie machen, was Sie wollen. Sollten Sie der Polizei von unserem Treffen erzählen, komme ich wieder. Und dann wird es sehr schlimm für Sie. Ist das klar?« Tiffany nickte. »Gut, dann drehen Sie sich jetzt um und sehen die Wand an. Sie können auch die Augen zumachen.«
»Ja, ja, gehen Sie einfach.«
»Was erzählen Sie der Polizei, wenn die wegen der Nummer fragt?«
»Dass ich sie nicht mehr finden kann.«
»So machen wir das. Ich darf mich verabschieden. Wir werden uns hoffentlich nicht wiedersehen.«
Tiffany pflichtete dem innerlich bei, sagte aber lieber nichts. Frank nahm das Messer vom Tisch, stand auf und betrachtete den Rücken der jungen Frau. Ihr Rückgrat zeichnete sich unter dem hellblauen Kaschmirpullover ab, ja, man konnte fast die Rippen und den Brustkasten sehen, der sich mit schnellen, zuckenden Bewegungen vergrößerte und wieder zusammenzog. Er musste Tiffanys Stirn mit der linken Hand fassen und nach hinten ziehen, um ihr mit der Messerklinge den Hals zu durchtrennen, bevor sie Abwehrbewegungen mit den Händen ausführen konnte. Das mochte sich in der Theorie leicht anhören. Aber Frank war in diesen Dingen kein Routinier. Und er hatte Hemmungen, wenn es um Frauen ging (er war deswegen ein wenig stolz auf sich). Die Krux war: Wenn das Ganze nicht tausend Mal eingeübt war und automatisch ablief, musste man mit Überraschungen rechnen. Frank atmete tief in den Bauch und konzentrierte sich. Dann tat er einen Schritt nach vorn auf die junge Frau zu, streckte die Linke aus, um nach ihrer Stirn zu greifen, beherzt und ohne zu zögern. Doch etwas lief falsch. Die Frau schrie auf, duckte sich weg, er versuchte, ihren Kopf zu fassen, den sie aber wie von Sinnen schüttelte, dazu schlug sie mit den Händen um sich. Als letztes Mittel blieb ihm ein Tritt in die Rippen, der sie aus dem Gleichgewicht brachte. Nur das Bücherregal bot ihr noch Halt, um nicht zu Boden zu gehen. Dafür wankte das Regal, als sie sich an ihm festhielt, sie merkte es, zerrte absichtlich daran und brachte es in dem Augenblick zu Fall, als Frank ihr nachsetzen wollte. Das Regal entleerte seinen Inhalt auf den Teppichboden und versperrte Frank für einen Augenblick den Weg, lang genug, dass Tiffany im Bad verschwinden und von innen abschließen konnte.
»Kommen Sie raus. Ich tu Ihnen nichts«, sagte Frank zur Badezimmertür. »Das war ein Missverständnis. Tut mir leid.« Er nahm nicht an, dass sie diesen Unsinn glaubte, und fragte sich, wo ihr Handy hingekommen war. Es lag auf der Couch, wie er feststellte. Das beruhigte ihn ein wenig, löste aber sein Problem nicht. Von der Badezimmertür zur gegenüberliegenden Wand war es ein knapper Meter. Die Tür ging nach innen auf. Frank nahm Maß, trat mit dem Absatz seines Stiefels auf die Stelle oberhalb der Türklinke und stemmte sich gegen die Wand. Schon mit dem ersten Tritt gelang es ihm, das Schließblech halb aus dem Türstock zu brechen. Mit dem zweiten Tritt fiel es vollständig heraus, und die Tür war offen. Allerdings versuchte Tiffany, die Tür von innen zuzuhalten, was letztlich zum Scheitern verurteilt war, denn Frank brachte das doppelte
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