Schwarze Piste
von Herrn Kohl war klein, sauber und im neubayerischen Stil mit bunten Relikten aus den achtziger Jahren eingerichtet. Sie besaß eine kleine Terrasse mit Gartenanteil. Um die Atmosphäre zu lockern, machte Wallner eine Bemerkung, dass der Garten im Sommer sicherlich von großem Reiz sei. Der Kollege aus Fürstenfeldbruck hatte Wallner die Gesprächsführung überlassen.
»Ach, wissen S’«, sagte Kohl und klang dabei geschwächt, so, wie auch seine ganze Erscheinung mit Morgenmantel und Hausschuhen im Ohrensessel gebrechlich wirkte, »der Garten is mehr a Last. Vielleicht für an gesunden Menschen, dass des schön ist, in der Natur zu sein und so. Aber ich bin ja frühverrentet, arbeitsunfähig.« Er lachte sehr bitter. »Aussortiert mit fünfundfünfzig! Zum Krüppel hab ich mich geschuftet. So blöd musst erst mal sein.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte Wallner und nahm den Doppelsinn seiner Beileidsbekundung billigend in Kauf. »Aber wie ich sehe, haben Sie einen guten Blick auf den Hauseingang.«
»Oh, ja. Da seh ich jeden, wo ins Haus kommt. Fast jeden. Und natürlich nur, wenn ich hier in dem Sessel sitz. Aber ich sitz ja fast immer hier. Außer wenn ich beim Arzt bin wie heut Vormittag. Der Rücken im Eimer, die Gelenke –
alles!
Wissen Sie, wie sich Rheuma anfühlt?«
»Ich hab gehört, es soll sehr schmerzhaft sein. Aber kommen wir zurück zu …«
»Des san Schmerzen, da machen Sie sich
keinen
Begriff«, fiel Kohl dem Kommissar ins Wort. »Meinem ärgsten Feind wünsch ich das nicht. Nicht meinem
ärgsten
Feind! Da gehst du durch die Hölle! Und dann kannst du dich noch einen Simulanten schimpfen lassen.
Psychosomatisch
wär’s. Bloß weil sie nix finden, die Kaschpern.«
»Ja, da ist man heute schnell mit bei der Hand.«
»Psychosomatisch! Die Dreckhammeln. Ein sauberes Land, in dem mir leben. Da wennst dich kaputtmachst für dein sauberes Land, dann treten s’ dir noch in’ Arsch – mal auf gut Deutsch g’sagt. Psychosomatisch!«
»Bei allem Verständnis für Ihre Lage – aber Sie wollten uns eine Beobachtung mitteilen.«
»Ach des! Ja, ja. Der Bursche von heut Nachmittag. Das war kurz vor drei. Da is einer gekommen. An Geländewagen hat er gehabt. Tät mich interessieren, wo die Leut des Geld immer herhaben. So a Kist’n, da zahlst du gut und gerne fuchzig Mille. Langt net. Sechzig, siebzig, wennst noch a bissl a Ausstattung drinhaben willst.«
»Konnten Sie den Wagen vom Sessel aus sehen?« Wallner, der auf einem Stuhl vor Kohl saß, hatte sich zum Fenster gedreht und bemerkt, dass man die Straße, die etwas tiefer lag als das Haus, gar nicht sehen konnte.
»Ich bin am Fenster gestanden, wie er gekommen ist. Ich muss regelmäßg aufstehen. Weil wennst an ganzen Tag sitzt, dann fangst du dir an Dekubitus wie nix.«
Wallner nickte. Aber es war klar, dass er mit dem Begriff nichts anfangen konnte. Er sah zu Janette. Der ging es nicht besser.
»A Druckstelle. Des is vielleicht a Teufelszeug. Das spürst du gar net am Anfang. A ganz a kleine Rötung. Schaut harmlos aus. Aber wehe, du übersiehst es oder tust nix dagegen. So schnell kannst du gar net schauen, da is des Ding offen. Und dann gute Nacht. An Freund von mir, den ham s’ ins Krankenhaus mit offener Druckstelle. Drei Monate hat er’s gemacht – dann Exitus. Und wenn ich sag offen, dann mein ich
faust-große
Löcher im Fleisch. Da kannst du den Knochen sehen. Da verfaulst du bei
lebendigem
Leibe!«
»Das ist ja dann sehr vernünftig, dass Sie ab und zu aufstehen, Herr Kohl. Also, Sie standen da am Fenster, und dann kam ein Mann mit einem Geländewagen und ging zur Haustür.«
Kohl bejahte das.
»Können Sie den Mann beschreiben?«
»Ungefähr mein Alter. Einssiebzig. Kräftig. Also net dick. Bullig.« Kohl lachte wieder bitter. »Der hat bestimmt nix am Rücken.«
»Haben Sie gesehen, wo er geklingelt hat?«
»Nein. Aber gehört hab ich’s, dass er in der Wohnung über mir geklingelt hat.«
»Haben Sie sonst noch was gehört?«
»Ich weiß nur, dass er eine Zeitlang da gestanden ist. Und er ist erst rein, wie jemand anderer aus dem Haus gekommen ist. Fragen S’ mich aber nicht, wer das war. Den hab ich hier noch nie gesehen. Also den, wo rausgekommen ist.«
»Haben Sie noch was aus der Wohnung von Frau Schildbichler gehört?«
»Gar nichts. Keine Kampfgeräusche. Nichts. Derschlagen hat er sie nicht, oder?« Aus Kohls ansonsten müden Augen blitzte unziemliche Neugier.
»Da müssen wir die Obduktion
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