Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
Die Drei riss ihr breites, rotes Maul auf und biss ein Stück von der Fünf ab, verzehrte es und man sah, wie sich ihr leerer Bauch mit dem Blau der Fünf anfüllte. Die arme Fünf versuchte verzweifelt, dem gierigen Maul der Drei zu entgegen, doch immer wenn sie in ihre Richtung schwankte, biss das gefräßige Zahlenwesen ein weiteres Stück von ihrem blauen Körper ab um es sich schmatzend einzuverleiben.
Fünf – Drei – Fünf – Drei …
Als Marlow die Messer in der Kammer fand, waren es fünf gewesen. Jetzt hatte man nur noch drei gefunden. John Chrestle hatte irgendwann zwei weitere Messer aus der Kiste genommen. Eines davon hatte Grace um ein Haar den Tod gebracht. Das andere Messer hatte der Mörder noch in seinem Besitz. Für wen war es bestimmt?
In Marlows Haus in der Warwick Street fanden sie ein vollkommenes Chaos vor. Die Polizei hatte alle Zimmer gründlich durchwühlt, den Inhalt der Schränke und Schubladen auf den Boden geleert, den verschlossenen Schreibtisch aufgebrochen, sogar die Küche und die Wirtschaftsräume waren nicht verschont worden. Maggy lief mit verheulten Augen herum, Charles war totenblass, denn seine Frau lag seit gestern Mittag krank in ihrem Zimmer. Man hatte den Arzt geholt, der hatte ihr Tropfen gegeben, die das Herz stärken sollten und absolute Ruhe verordnet.
„Miss Burke! Wir sind ja so froh, dass Sie wieder da sind!“
Violet war gerührt von Maggys glückseligem Lächeln, das Mädchen wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen. Auch Charles wirkte erleichtert, doch die Sorge um seine Frau war ihm deutlich anzusehen. Er war niemals ein treuer Ehemann gewesen und doch hing er mit großer Zärtlichkeit an seiner Frau, die in ihrer schroffen Art seinem Leben Halt und Sicherheit gab.
Violet lief die Treppen hinauf und sah nach der Kranken. Mrs. Waterbrooks Gesicht wirkte erschreckend durchsichtig gegen die weißen Spitzen der gestärkten Nachthaube.
„Mr. Marlow ist unschuldig, Miss Burke“, sagte Mrs. Waterbrook flehentlich und hielt Violets Arm fest. „Ich weiß es ganz gewiss. Sie werden ihn doch nicht verurteilen?“
„Beruhigen Sie sich, Mrs. Waterbrook. Mr. Forch wird ihm helfen. Bald ist er wieder daheim.“
„Wenn es nur so wäre.“
Unten im Wohnzimmer unterzog Forch Maggy und Charles einer genauen Befragung. Ja, es hatte immer wieder Geräusche in den Fluren gegeben. Auch in der Nacht. Ja, die Fenster hätten längst gerichtet werden müssen. Charles selbst hatte die Schachtel mit den Messern damals in die Kammer getragen. Das war kurz bevor Mr. Marlow und seine junge Frau ins Haus einzogen. Ja, der Kasten hatte die ganze Zeit in der Kammer gestanden, niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn zu öffnen.
Violet sah zu, wie Forch sich abmühte, um Beweise für die Einbrüche zu finden, hörte ihn fluchen, weil Maggy unaufhörlich schwatzte und Charles behauptete, sich nicht genau erinnern zu können. Schließlich nahm sie Forch beiseite und bat ihn, ein paar Worte unter vier Augen mit ihm sprechen zu dürfen.
„Ich denke, Mr. Forch, wir kommen so nicht weiter“, sagte sie. „Ich sehe nur noch eine einzige Möglichkeit, Nicholas zu retten.“
Er war abgekämpft und missgelaunt und sah sie unfreundlich an. Violet wirkte trotz aller Strapazen jetzt ruhig und entschlossen. Sie lächelte sogar.
„Ich weiß, dass John Chrestle noch ein weiteres Messer aus der Sammlung besitzt, und ich werde ihn herausfordern, es gegen mich zu zücken.“
Seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen.
„Schlagen Sie sich diesen Unsinn aus dem Kopf, junge Lady!“
„Oh nein, Mr. Forch. Ich bin fest dazu entschlossen. Aber ich brauche Ihre Hilfe. Sie werden die Presse ein wenig hereinlegen müssen, denn in den Abendzeitungen muss geschrieben stehen, dass man Nicholas freigelassen hat.“
„Völlig unmöglich!“
„Außerdem brauche ich einige erfahrene Polizisten, die sich unauffällig an meine Fersen heften, um Chrestle im rechten Moment zu verhaften.“
„Ausgeschlossen!“
Sie trat dicht an ihn heran und ihre dunklen Augen blitzten.
„Wo ist Ihr Mut, Mr. Forch?“, fragte sie herausfordernd. „Dieser Mensch narrt die ganze Londoner Polizei und bringt einen Unschuldigen an den Galgen. Es ist Zeit, die Jagd auf ihn zu eröffnen. Ich werde der Lockvogel sein und Sie sind die Jäger. Der Mörder von Whitechapel ist eine Beute, die jeden Einsatz wert ist.“
Er wollte widersprechen, doch die Kampfbereitschaft, die sie ausstrahlte, sprang auf ihn über.
Weitere Kostenlose Bücher