Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
ausgeliefert zu sehen. Was auch immer dieser nächtliche Einsatz bewirken würde – sie musste es versuchen.
Die Kutsche hielt in der Nähe des Eaton Place, sie kletterte aus dem Wagen und bezahlte den Kutscher. Als der Hansom sich langsam entfernte, blieb sie einsam im nächtlichen Dunst zurück. Die Straße war menschenleer, nur schemenhaft erkannte man die Konturen der hohen Häuser und die gelblichen Lichtflecken der erleuchteten Fenster. Niemand hatte Vergnügen daran, bei diesem Wetter einen Nachtspaziergang zu unternehmen. Als eine Kutsche an ihr vorbeirasselte, glaubte sie schon, es seien ihre Beschützer, dann bemerkte sie, dass das Gefährt vor einem der breiten Eingänge hielt, und der Kutscher vom Bock sprang, um der Lady im Inneren seines Wagens, den Schlag zu öffnen. Vermutlich kehrte die Lady von einem Besuch oder aus der Oper zurück.
Sie stand einige Minuten im Nieselregen, überlegte, ob sie auf die Kutsche mit ihren Beschützern warten sollte, doch dann wurde ihr klar, dass die Polizisten vermutlich in einer Seitenstraße ausgestiegen waren. Irgendwo in der Nähe mussten sich einige von Forchs Leuten verborgen haben, sie konnte nur hoffen, dass die Männer auf ihrem Posten waren.
Langsam ging sie an den Zäunen entlang, die die Vorgärten der Häuser abgrenzten. Die meisten waren aus schwarzem Schmiedeeisen gefertigt und erschienen ihr wie nebeneinander aufgereihte Lanzen, die mit den Spitzen nach oben zeigten. Wenn der Nebeldunst sich für kurze Zeit hob, waren die schönen Fassaden im Schein der Gaslaternen sichtbar und sie konnte die schmalen Rechtecke der Fenster erkennen.
Fast wäre sie am Haus der Chrestles vorübergelaufen, denn in seiner hohen Fassade war nicht ein einziger Lichtschein zu erkennen. Doch sie erinnerte sich an die niedrige Mauer, die den Vorgarten anstatt eines Gitters umgab, und blieb stehen. Ihr Puls raste. Der Eingang des Gebäudes war unbeleuchtet, doch als jetzt ein leichter Wind den Nebel verwehte, erschienen die beiden Säulen, die das Dach des Vorbaus trugen, wie zwei düstere, steinerne Wächter.
Sie wusste, dass sie von ihren Helfern beobachtet wurde, doch es wäre ihr wesentlich lieber gewesen, wenn sie eine Ahnung davon gehabt hätte, wo sie sich verborgen hielten. Ein leichtes Rascheln hinter der Mauer ließ sie zusammenzucken – bewegte sich dort ein kleines Tier, ein Marder oder eine Katze? Oder lag dort jemand auf der Lauer? Sie atmete tief durch, spürte, wie die feuchte Nebelluft ihre Lungen füllte, und ging mutig auf den Eingang zu.
Das Geräusch der Glocke erschien ihr unsagbar schrill und laut in der nächtlichen Stille. Sie spürte, wie ihr Herz hämmerte und ihre Hand zuckte bereits, um ein zweites Mal an dem Griff zu ziehen, da hörte sie Schritte hinter der Tür.
Gedämpfter Lichtschein fiel durch die halb geöffnete Pforte, im Türspalt erblickte sie die schmale Gestalt des Hausmädchens.
„Miss Burke!“, sagte sie und ihr Blick glitt über Violet, als müsse sie sich vergewissern, dass sie keine Erscheinung war. „Was ist geschehen? Die Herrschaften empfangen niemanden zu dieser späten Stunde.“
Violet trat einige Schritte näher, doch das Mädchen wich nicht von der Stelle und versperrte ihr den Weg in die Halle.
„Ich habe nur eine Nachricht“, sagte sie laut.
„Eine Nachricht? Für wen?“
„Eine Nachricht, die Mr. John Chrestle betrifft!“
Das Mädchen erbleichte und ihr grämliches Gesicht erstarrte zu einer Maske.
„Wenn das ein Scherz sein soll, Miss Burke“, sagte sie mit gedämpfter Stimme, „dann ist er reichlich pietätlos. Gehen Sie! Verschwinden Sie auf der Stelle oder ich rufe die Polizei!“
Violet bewegte sich um keinen Zentimeter. Sie zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn dem Mädchen. Die schreckte davor zurück, als habe Violet ihr eine giftige Schlange vorgehalten.
„Geben Sie diesen Umschlag Mr. John Chrestle“, sagte Violet langsam und eindringlich. „Es ist etwas darin, was ihm einst gehört hat.“
Das Mädchen machte keine Miene, den Umschlag anzunehmen, doch Violet fasste ihren Arm und legte ihr das Papier in die Hand. Dann lief sie die Treppenstufen hinunter und blieb schwer atmend auf der Straße vor dem Haus stehen.
Das Mädchen stand unschlüssig, reckte den Hals, um die nächtliche Besucherin im Nebeldunst zu erkennen, dann zog sie die Tür zu und Violet hörte, wie sie den Riegel vorschob.
Der Köder war gelegt. Was würde John Chrestle tun, wenn er Clarissas
Weitere Kostenlose Bücher