Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
sie ohne Überzeugung zurück und sah zum Fenster hinüber, hinter dem die Straße bereits in grauer, nebeliger Dämmerung lag. Er war ihrem Blick gefolgt und sah erschrocken auf die Uhr.
„Gute Güte – da habe ich Sie viel zu lange aufgehalten, Miss Burke. Ich fürchte, ich werde Nicholas recht bald aufsuchen müssen, um diesen Umstand zu klären. Sonst kommt er noch auf den Gedanken, ich alter Kerl hätte seine hübsche Hausdame verführt.“
Er lachte fröhlich über seinen Scherz und erhob sich, um zum Fenster zu gehen.
„Dicke Suppe da draußen. Ich kann mich doch darauf verlassen, dass Sie einen Hansom nehmen?“
Sie war ebenfalls aufgestanden und dachte mit unguten Gefühlen an den Heimweg. Dennoch hielt ihr Stolz sie davon ab, ihm die Wahrheit zu gestehen.
„Seien Sie unbesorgt.“
Er begleitete sie zur Haustür, half ihr persönlich in den Mantel und ermahnte sie, auf jeden Fall die nächste Droschke zu nehmen, die ihr vor Augen kam und nicht wählerisch zu sein.
„Es tut mir sehr Leid, Sie sozusagen hinauswerfen zu müssen, Miss Burke“, sagte er und hielt ihre Hand zum Abschied fest. „Aber es geschieht zu Ihrer Sicherheit. Wir werden uns gewiss bald wieder sehen, dann werde ich die Scharte auswetzen und Ihnen ausgiebig den Hof machen!“
Sie erklärte lächelnd, dass es nicht auszuwetzen gab, genoss sein warmes, ein wenig besorgtes Lächeln und trat dann hinaus auf die Straße. Schon nach wenigen Schritten verlor sich der Lichtschein der Eingangslaterne im gelblichen Nebel. Mit ihm schwand auch die Geborgenheit des Hauses, das ihr Wärme und Schutz gewährt hatte.
Der Regen hatte nachgelassen, dennoch kam Violet nur langsam voran, musste immer wieder stehen bleiben, um sich im dichten Nebel zu orientieren. Die Straßen waren jetzt einsam, selten nur, dass die Laternen einer Kutsche oder Droschke auftauchten und das schwarze Gefährt an ihr vorüberrasselte. Der Nebel legte sich kühl und feucht auf ihr Gesicht, er roch nach Rauch, nach dem fauligen Gestank des Flusses und machte ihren Mantel schwer. Wenn sie sich einer Straßenlaterne näherte, geschah es manchmal, dass ein Windstoß die Nebelbank zerriss, dann tauchten vor ihr im Licht der Lampe dunkle Häuserreihen auf, Eingänge gähnten wie viereckige, schwarze Mäuler, Fenster sahen sie mit blinden Augen an.
Sie war froh, als sie sich den engen Gassen näherte, in denen die Kneipengänger lärmten, dort gab es wenigstens kleine Lichter in den Fenstern, die der Nebel zu matten, braungelben Schleiern verzerrte. Für einen Moment flackerte ein heller, gelbroter Schein vor ihr auf und beleuchtete eine Gruppe vermummter, kleiner Gestalten, die im Kreis um das Licht standen. Es waren Straßenkinder, die eine Zeitung entzündet hatten, um sich die Finger daran zu wärmen. So rasch, wie das Feuer entstanden war, so schnell war das Papier verbrannt, und das Licht fiel in sich zusammen.
Violet ging nun rascher, ein Betrunkener taumelte an ihr vorüber, blieb stehen, grinste sie selig an und lallte Unverständliches, dann war die Erscheinung im Dunst verschwunden. Die Geräusche wurden leiser, nur das wütende Schelten einer Frau hallte ihr noch in den Ohren, dann das lang gezogene Jaulen eines Hundes, das irgendwo, weit in der Ferne ein Echo fand.
Sie blieb wieder stehen, zog den Mantel enger um die Schultern und spürte, wie die Kälte durch ihre Kleider drang. Wenn sie nicht bald ins Warme kam, würde sie sich eine ordentliche Erkältung einhandeln. Zornig dachte sie an Marlow, der zu geizig war, ihr einen Hansom zu bezahlen, und entschied sich dann, den kürzesten Weg durch die schmalen Gässchen einzuschlagen. Es gab hier jedoch nur wenige Straßenlaternen, das Pflaster war holprig und sie musste aufpassen, dass sie nicht in ein Schlagloch trat und strauchelte. Doch sie kam schneller voran, als sie zuerst geglaubt hatte, und vom eiligen Lauf wurde ihr angenehm warm. Immer noch war in regelmäßigen Abständen das Geheul des Hundes zu hören, seine lang gezogenen Klagen klangen wie die Rufe eines Menschen, der in Bedrängnis ist. Violet versuchte, nicht darauf zu achten – wer sagte denn, dass das ein Hund war? Es konnte genau so gut die Sirene eines Schiffes sein, der Wind, der irgendwo um eine Ecke blies oder einfach ein Verrückter, der seinen Irrsinn in den Nebel hinausheulte.
Im Schein einer Straßenlaterne war jetzt eine kompakte, dunkle Form zu erkennen, wie ein Mann, der unbeweglich auf der Straße hockte. Violet spürte wieder
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