Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
sich seine Ärmelmanschetten zurecht und erhob sich, um einige Schritte im Raum auf und ab zu gehen.
„Da wir einmal dabei sind, Miss Burke: Die übrigen Zimmer im zweiten Stock haben verschlossen zu bleiben. Sie haben dort nichts zu suchen.“
Sein Ton war streng, fast zornig und sie musste schlucken.
„Aber … die Räume müssten gereinigt werden.“
„Das gehört nicht zu Ihren Aufgaben. Haben Sie mich verstanden?“
„Natürlich, Mr. Marlow.“
Ob es die Räume seiner verstorbenen Frau waren? Litt er unter ihrem Tod und wollte daher nicht mehr an sie erinnert werden?
„Ich habe – wie bereits angekündigt – einen Auftrag für Sie“, nahm er wieder das Wort und bewegte sich zum Schreibtisch hinüber. Dort erblickte Violet einen Stapel schöner, alter Folianten mit verblasster Goldschrift auf den Buchrücken und doppelt eingefassten Lederecken. Marlow nahm zwei davon in die Hand, blies den Staub von den Seiten und reichte sie dann Violet.
„Es handelt sich um einen Botengang. Ich möchte, dass Sie diese beiden Werke zu einem guten Bekannten tragen, eine Aufgabe, die ich keinem anderen anvertrauen möchte, da die Bücher selten und recht wertvoll sind.“
Wie außerordentlich rücksichtsvoll, sie bei diesem Wetter durch die Stadt zu schicken!
„Sie werden zu Fuß gehen, es ist nicht allzu weit“, fügte er zu allem Überfluss hinzu.
Violet ließ sich ihren Ärger nicht anmerken. Wenn er glaubte, sie aus der Ruhe bringen zu können, dann hatte er sich geirrt.
„Wie ist die Adresse?“
„Fetter Lane Nr. 23 in Holborn. Mr. Jeremy Forch. Sie haben nur wenige Minuten zu gehen.“
Das war gut zwei Meilen entfernt, sie würde immerhin eine halbe Stunde für den Hinweg und ebenso lang für den Rückweg benötigen. Darüber würde es natürlich dunkel werden, denn es war bereits Nachmittag.
„Es ist vielleicht besser, einen Hansom zu nehmen“, wandte sie ein. „Es wäre schade, wenn diese wertvollen Bücher nass würden.“
„Packen Sie sie gut ein und nehmen Sie sie unter Ihren Mantel“, gab er kalt zurück.
Violet wusste keinen weiteren Einwand mehr vorzubringen, doch sie war verbittert. Hatte er nicht vorhin selbst behauptet, dies sei kein Wetter, um draußen herumzulaufen? Und jetzt schickte er sie mit diesen Büchern nach Holborn – eine Angelegenheit, die ganz sicher auch bis morgen früh Zeit gehabt hätte. Gerade eben hatte sie noch den trauernden Witwer bemitleidet – jetzt erkannte sie, dass er nichts als ein boshafter, rachsüchtiger Mensch war.
Maggy stand bereits unten in der Halle, um ihr Mantel und Schirm zu reichen und man wickelte die Bücher in ein Wachstuch ein, um sie vor Nässe zu schützen.
„Beeilen Sie sich, Miss Burke“, sagte Maggy besorgt. „Es wird sicher Nebel geben und dunkel ist es auch bald.“
Wie sie vermutet hatte, war es draußen unangenehm kalt, der feine Regen schien mit feuchten Händen unter ihren Mantel zu greifen und ließ sie frösteln. Ein Glockenturm in der Nähe schlug viermal die volle Stunde – noch war es nicht allzu spät und sie schritt eilig voran.
Die breiten Straßen waren belebt. Wagen und Droschken fuhren vorüber und bespritzten die Fußgänger mit Straßenkot, hin und wieder erhaschte Violet durch die Kutschenfenster das flüchtige Bild einer Lady im Pelzkragen oder eines Gentleman mit dunklem Zylinder, einmal glaubte sie sogar, die jugendlichen Züge und das dunkle Lockenhaar von Mr. Jameson, Grace‘ bevorzugtem Kunden, zu erkennen. Auf den Trottoirs schienen zahllose graue und schwarze Regenschirme wie eilig wandernde Pilze dahin zu schweben, darunter erblickte man graue Hosenbeine, lange Gehröcke oder den weiten Rock einer Frau, dessen Saum dunkel vor Nässe und Schmutz war. In den Hauseingängen nahe der Klubs oder der Geschäfte drückten sich Lausbuben in zerschlissenen Jacken herum, die fröstelnd darauf warteten, sich ein paar Pennys zu verdienen, indem sie die Kutschpferde am Zaumzeug festhielten, während die Herrschaften ausstiegen.
Trotz des großen Schirms war Violets Mantel bald ziemlich durchnässt und sie beschloss, den Weg abzukürzen, indem sie die schmalen Seitenstraßen benutzte.
Hier gab es eine Menge Kneipen und Inns, schwacher Lichtschein war in Fenstern zu sehen, das Gelächter und Geschrei der Gäste drang bis auf die Straße. Violet vermied es, zu dicht an den Hauseingängen vorbei zu laufen, denn dort hielten sich dunkle Gestalten auf, Bettler oder Taschendiebe, die auf die betrunkenen
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