Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
und hielt eine Weile besorgt den Arm um ihre Schultern geschlungen, während sie sich langsam in Bewegung setzten. Eine Weile gingen sie schweigend durch die stillen Straßen, Violet überließ sich vollständig seiner Führung, froh, nicht mehr allein durch den Nebel laufen zu müssen. Immer noch glaubte sie zu träumen, spürte ihren eigenen, aufgewühlten Empfindungen nach, und erst langsam begann ihr Verstand, sich wieder zu Wort zu melden.
„Wieso sind Sie überhaupt hier?“, fragte sie, als sie schon fast in der Warwick Street waren.
„Ich habe einen Nachtspaziergang gemacht. Eine liebe, alte Gewohnheit, von der ich auch bei widrigem Wetter nur ungern abweiche.“
Sie sah ihn prüfend an, doch seine blassen Züge waren von Nebelschleiern umwölkt, sodass sie sie nicht genau deuten konnte.
„Ich hatte den Eindruck, jemand folgte mir“, erzählte sie zögernd. „Er trug genagelte Schuhe und muss mir eine ganze Weile nachgelaufen sein. Waren das etwa – Sie?“
Er nahm die Nachricht gelassen auf und warf ihr einen seiner ironischen Blicke zu.
„Ich? Wohl kaum, Miss Burke. Trage ich etwa genagelte Schuhe?“
In der Tat waren seine Schritte kaum hörbar. Seine Schuhe waren mit weichem, aber haltbarem Leder besohlt.
Als sie später in ihrem Himmelbett lag, quälte sie sich trotz der Müdigkeit mit den widersprüchlichsten Gedanken und Gefühlen herum. Wieso war Marlow so plötzlich vor ihr aufgetaucht? Ein Zufall? Sie mochte es nicht so recht glauben. Doch wenn er sie absichtlich abgepasst haben sollte – was hatte er damit bezweckt?
Er hatte ihren Sturz aufgefangen, sich um sie gekümmert, als sie ohnmächtig lag. Und doch hatte er auf seine Weise seinen Nutzen daraus gezogen. Immer noch glaubte sie, seine Hände zu spüren, seine zärtlichen Berührungen, den heißen Blick seiner dunklen Augen, unter dem sie wohlig erschauert war.
Körperliche Begierden waren abstoßend, so hatte man Violet erzogen. Waren sie den Männern noch gestattet – eine anständige Frau hatte niemals körperliche Lust zu empfinden. Tat sie es doch, bot sie sich einem Mann gar an, um von ihm befriedigt zu werden, dann war sie eine Hure.
Und doch hatte sie an diesem Abend solche verbotenen, süßen Empfindungen gespürt, und so sehr sie auch vor sich selbst erschrak, so musste sie sich eingestehen, dass tief in ihrem Inneren die Sehnsucht nach weiteren Zärtlichkeiten brannte.
Sie kannte sich nicht mehr. War es Grace‘ Einfluss, der sie so verändert hatte? Oder war es der Schock gewesen, die Angst, die sie empfunden hatte, als Marlow im Nebel vor ihr auftauchte?
Was auch immer: Sie würde sich morgen früh wieder in der Gewalt haben. Auf keinen Fall durfte sie ihn merken lassen, wie sehr seine frechen Berührungen ihr gefallen hatten.
Sie rollte sich zusammen, schob sich das Kopfkissen zurecht und glitt langsam hinüber in das schwankende Reich der Träume. Das Knistern und Knacken des alten Hauses begleitete ihren Übergang in den Schlaf, als eine Tür knarrte und leise Fußtritte auf dem Flur vernehmbar wurden, war sie längst in Schlummer gefallen. Eine Hand drehte vorsichtig und langsam den Türknauf, doch die Tür war von innen verschlossen und der nächtliche Besucher ließ rasch von seinem Vorhaben ab.
Es war noch dunkel, als sie ein Klopfen vernahm und erschrocken im Bett auffuhr. Hatte sie etwa schon wieder verschlafen?
„Guten Morgen, Miss Burke“, sagte Maggys fröhliche Stimme. „Ich bringe Ihren Tee.“
Sie sprang aus dem Bett und ließ das Mädchen ein. Maggy balancierte ein blank geputztes Tablett, auf dem eine dickbauchige Porzellankanne mit Rosenmuster stand, außerdem die Teetasse, Sahne, Zucker und eine kleine Schale mit frischen Haferkeksen.
Violet sah überwältigt zu, wie Maggy den Segen auf der Kommode abstellte und sich daran machte, den duftenden Tee einzugießen.
„Mr. Marlow erwartet Sie in einer halben Stunde zum Frühstück.“
„Danke Maggy.“
Das Mädchen knickste unbeholfen, strich sich eine kitzelnde Haarsträhne aus der Stirn und ging aus dem Zimmer. Amüsiert hörte Violet, wie Maggy polternd und schnaufend die Treppe hinunterging – dann gönnte sie sich einige Schlucke der belebenden, heißen Flüssigkeit und naschte einen Keks.
Ohne Zweifel hatte Marlow das Mädchen angewiesen, ihr den Morgentee zu servieren. Violets Pulsschlag wurde rascher, was nicht nur allein der Wirkung des Tees zuzuschreiben war. Was würde sie unten im Speisezimmer erwarten? Würde er auf
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