Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
Gäste warteten, um sie zu erleichtern. Eine junge Frau, in ein schmutziges Tuch gehüllt, lief aus einer Kneipe torkelnd über die Gasse und streckte Violet einen kleinen Topf hin.
„Einen Penny, Lady. Ich hab fünf hungrige Bälger und einen Kerl, der nichts nach Hause bringt.“
„Ich hab kein Geld“, sagte Violet und wich der Frau aus, von Abscheu und Mitleid erfasst.
„Geizige Kuh!“, keifte die Bettlerin hinter ihr her. „Der Mörder von Whitechapel soll dich holen. Bist genau sein Typ.“
Violet eilte so rasch davon, dass sie nicht auf den Schirm achtete. Das Monstrum stülpte sich in einem Windstoß um, und sie erhielt eine kräftige Regendusche ins Gesicht.
Das Haus, in dem sie die Bücher abgeben sollte, lag in einer ruhigen Wohngegend, ein gewöhnliches, zweistöckiges Wohngebäude inmitten einer langen Häuserreihe. Es unterschied sich von den anderen nur durch eine hell gestrichene, dreistufige Eingangstreppe, an der ein Geländer aus Schmiedeeisen angebracht war. Unter der Glocke befand sich ein Messingschild, auf dem der Name „Jeremy Forch“ eingraviert war. Adresse und Namen stimmten – sie würde ihren lästigen Auftrag gleich erledigt haben.
Ein Hausmädchen öffnete und sah sie erstaunt an. Violet begriff, dass man sie nicht erwartete, doch als sie ihren Namen sagte und ihr Anliegen vorbrachte, bat das Mädchen sie ins Haus.
„Mr. Forch erwartet Sie in der Bibliothek, Madam.“
Violet hatte wenig Lust, sich lange aufzuhalten, doch sie konnte die Einladung schlecht ablehnen und gab dem Mädchen ihren Mantel.
Mr. Jeremy Forch hatte sich zu ihrer Begrüßung aus seinem Sessel erhoben, und sie erkannte in ihm jenen freundlichen Gentleman, der mit Marlow im „Green Palace Hotel“ gespeist hatte. Auch er schien sie wieder erkannt zu haben, denn er machte ein überraschtes Gesicht, dann aber strahlte er sie an.
„Die bezaubernde Pianistin aus dem „Green Palace“, rief er erfreut. „Setzen Sie sich, junge Lady. Wärmen Sie sich auf und leisten Sie einem einsamen, alten Mann ein wenig Gesellschaft.“
Sein Lächeln war warm und tat ihr wohl. Bewundernd ließ sie den Blick über die vielen Bücherschränke schweifen, deren Inhalt sorgsam geordnet war und den begeisterten Leser verriet. Der große Nussbaumschreibtisch am Fenster war von Papieren und aufgeschlagenen Büchern bedeckt – vermutlich hatte Mr. Forch seine Arbeit unterbrochen, um sie zu empfangen.
„Ich möchte Sie nicht stören“, sagte sie vorsichtig.
„Sie stören mich keineswegs, liebe junge Lady. Ich bin im Ruhestand und verbringe meine Zeit damit, meine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Vierzig Jahre bei der Polizei – da kommt einiges zusammen.“
„Oh, das klingt aufregend“, staunte sie.
„Nun setzen Sie sich endlich“, sagte er energisch und wies auf einen Ledersessel gleich beim Kamin. „Es ist eine Schande, eine so hübsche, junge Person bei solchem Wetter durch die Stadt zu schicken. Ich werde mit meinem Freund Nicholas ein ernstes Wort reden müssen. Sie sehen ganz erfroren aus, Miss Burke. Möchten Sie Tee? Nein – ich weiß etwas Besseres, um Ihre Lebensgeister wieder zu wecken.“
Er stellte zwei Gläser auf das Tischchen neben ihr und goss Whisky ein – eine kleine Menge für Violet und eine etwas größere für ihn selbst.
„Trinken Sie“, ermunterte er sie lächelnd. „Das ist die beste Medizin gegen kalte Finger und nasse Füße!“
Sie nippte von der duftenden, hellbraunen Flüssigkeit, spürte, wie sie ihr brennend durch die Kehle rann, und sich dann wie eine weiche, warme Welle in ihrem Inneren ausbreitete.
„Nun – was habe ich gesagt?“, freute er sich und ließ sich ihr gegenüber am Kamin nieder.
„Es tut wirklich gut“, gestand sie und nippte ein zweites Mal. Es wurde ihr leicht zumute, eine warme Hülle legte sich um ihr Gemüt, löste die Ängste, ließ sie die Sorgen vergessen. Sie sah in sein breites, leicht gerötetes Gesicht und stellte fest, dass er sie mit hellen, klugen Augen neugierig musterte.
„Helfen Sie meinem Verständnis auf die Sprünge“, sagte er. „Vorgestern spielten Sie im ‚Green Palace‘ Klavier – heute kommen Sie zu mir im Auftrag meines Freundes Nicholas. Wie bringe ich das zusammen?“
Sie lachte fröhlich und er stimmte ein, wurde sogar rot, als sie ihn schelmisch anblinzelte.
„Mr. Marlow hat mich gestern als Hausdame engagiert.“
Er runzelte die Stirn, die Nachricht schien ihn zu befremden.
„Nun – dann haben Sie
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