Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
engen Halsausschnitt und langen Ärmeln, die mit dunklen Borten besetzt waren. Der weite Rock war schmucklos, doch er bauschte sich auf eindrucksvolle Weise und hatte eine kleine Schleppe. Dazu gab es eine halblange Jacke mit Schößchen aus dem gleichen Stoff, eng auf Figur geschnitten und ebenfalls mit Borten verziert.
Mrs. Murdstone präsentierte die Kleidungsstücke, als wolle sie sie gerade eben verkaufen, wies Violet auf die Farbeffekte im Licht hin, betonte die aufwendige Näharbeit und brachte zuletzt noch einen Gürtel zutage, der mit einer breiten, silberfarbigen Schnalle geschlossen wurde. Die Schneiderin kam voll auf ihre Kosten, denn Violets Begeisterung stand ihr im Gesicht geschrieben. Was für ein Kleid! Es war einer Lady würdig.
„Wenn Sie jetzt probeweise hineinschlüpfen wollen …“
Das Kleid passte wie angegossen, Violet drehte und wendete sich damit vor dem kleinen Metallspiegel, stand dann eine Weile still, während die prüfenden, kalten Finger der Schneiderin über den Stoff glitten, und besah ihr Spiegelbild, als sei sie eine Fremde. Konnte es sein, dass diese schlanke, junge Lady tatsächlich sie selbst war? Violet Burke, Tochter eines Gemischtwarenhändlers aus Devonshire und erfolglose Klavierlehrerin?
„Meine Güte, ich habe nur ein winziges Stückchen Stoff für diesen Gürtel gebraucht“, schwatzte die Schneiderin. „Ihre Taille ist so schmal wie die eines kleinen Mädchens.“
Das Oberteil zeigte sehr deutlich ihre Körperformen, auch die Korsage konnte nicht verbergen, dass ihre Brüste üppig für ihre zarte Figur waren. Violet errötete, denn sie erinnerte sich an das Geschehen der vergangenen Nacht.
„Danke, Mrs. Murdstone. Die finanziellen Dinge wird Mr. Marlow mit Ihnen regeln.“
„Selbstverständlich. Sie sehen bezaubernd aus, Miss Burke. Wirklich bezaubernd. Sie werden in diesem Kleid viele Männerherzen in Verwirrung bringen.“
Sie erging sich noch eine Weile in Bewunderung, versprach, die anderen Kleider pünktlich zu liefern und machte überflüssigerweise eine Menge Vorschläge, wie Violet das Haar zu diesem Kleid aufstecken solle.
Violet war froh, als die anstrengende Schwätzerin endlich aus dem Zimmer war. Aufatmend löste sie den Gürtel, um das neue Kleid wieder auszuziehen, denn sie wollte es für den Nachmittag schonen. Doch in diesem Moment hörte sie rasche Schritte auf der Treppe, und bevor sie noch überlegen konnte, wer da so eilig in den zweiten Stock rannte, wurde ihre Zimmertür aufgerissen.
Auf der Schwelle stand Nicholas Marlow, noch in Hut und Mantel, ganz offensichtlich war er gerade eben nach Hause gekommen. Er musterte sie mit großer Aufmerksamkeit, trat dann ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Zeigen Sie mal her!“, befahl er und warf seinen Hut auf ihr Bett. „Drehen Sie sich um. Langsam, nicht so rasch.“
Sie war so überrascht, dass sie seiner Anweisung mechanisch folgte. Es war ja nur natürlich, dass er das neue Kleid in Augenschein nehmen wollte. Allerdings hätte er das auch zu einem späteren Zeitpunkt unten in der Halle tun können.
„Das Blau steht Ihnen“, stellte er befriedigt fest. „Es gibt ihnen einen Nimbus von Unschuld.“
Sie sah ihn verwirrt an und wusste nicht recht, was diese Bemerkung bedeuten sollte. Ohne Vorwarnung trat er jetzt dicht an sie heran und nahm ihr den Gürtel aus der Hand.
„Diesen Firlefanz brauchen wir nicht“, bestimmte er und warf den Gürtel beiseite. „Lassen Sie mal sehen, ob es auch anständig genäht ist.“
Seine Stimme war plötzlich weicher, besaß nicht mehr die schneidende Schärfe, die sie am Morgen noch gehabt hatte. Bevor sie sich wehren konnte, hatte er mit einer Hand den schmalen Rüschenbesatz an ihrem Halsausschnitt gefasst und befühlte scheinbar die Naht.
„Dachte ich es doch“, hörte sie ihn murmeln. „Wir werden reklamieren müssen.“
Sie spürte seinen warmen Atem und roch wieder seinen Duft, der dieses Mal mit ein wenig Tabak und dem Stoff des Mantels gemischt war. Ihr Herz begann zu rasen – sie durfte sich jetzt auf keinen Fall etwas vergeben.
„Bitte, Mr. Marlow. Wenn sie dieses Kleid genauer untersuchen möchten, dann werde ich es ablegen und später ins Wohnzimmer bringen.“
Sie spürte wieder seine Hand, die sich in ihr Genick legte, seine Finger schoben sich unter den Stoff und glitten streichelnd über den Nackenwirbel.
„Unnötig“, sagte er leise und seine Stimme war jetzt dunkel und samtig. „Bleiben Sie ruhig
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