Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
beweisen.
Und doch gab es noch einen anderen Marlow. Den Ehemann, der um seine verstorbene Frau trauerte, und der sich für ihren unseligen, frühen Tod verantwortlich fühlte. War hier der Schlüssel zu seinem sonderbaren Wesen? Steckte unter der harten Schicht aus Bosheit und Zynismus tatsächlich ein „guter Mensch“, wie Mrs. Waterbrook behauptet hatte?
Sie war sich darüber nicht mehr so sicher. Nach dem, was Mrs. Waterbrook erzählt hatte, war Marlow durch seine Ehe mit Clarissa zu beträchtlichem Wohlstand gekommen. Hatte er Clarissa aus Liebe oder wegen ihres Geldes geheiratet? Und weshalb hatte sie sich umgebracht?
Wie auch immer sie es drehte – sie kam zu keinem Ergebnis. Sicher war nur eines: Sie befand sich in großer Gefahr. Doch es war längst zu spät, davon zu laufen. Vielleicht war es gerade das Widersprüchliche in Marlows Wesen, das eine solche Faszination auf sie ausübte. Sie war unfähig, dieses Haus zu verlassen.
Violet hatte früh gelernt, dass Arbeit ein gutes Mittel gegen den Kummer war. Sie zwang sich, ein freundliches Gesicht zu machen, kümmerte sich um die Haushaltsführung, gab Charles verschiedene Aufträge und sorgte dafür, dass Maggy nicht untätig herumsaß. Mrs. Waterbrook erwies sich immer mehr als eine hilfreiche Stütze, sie gab Violet Hinweise, erklärte ihr viele Dinge, die sie aus Unerfahrenheit nicht wusste, und schien darüber hinaus Gefallen daran zu finden, mit der jungen Hausdame zu plaudern. Violet hatte inzwischen begriffen, was der Grund für die anfangs so abweisende Art der Köchin gewesen war: Sie litt unter der Flatterhaftigkeit ihres Ehemannes. Vermutlich hatte sie zuerst gefürchtet, Charles könne auch die neue Hausdame verführen. Inzwischen war ihr jedoch klar geworden, dass in dieser Hinsicht keine Chance bestand, und das hatte sie Violet gegenüber milde gestimmt.
Gegen vier Uhr ließ Marlow ihr ausrichten, dass der Wagen angespannt und er bereit zur Abfahrt sei.
Wie Violet vermutet hatte, gab er sich wortkarg und schlecht gelaunt, verbot ihr, den alten Mantel umzulegen, und mahnte sie, ihre abgetragenen Schuhe möglichst unter dem langen Rock zu verbergen.
Er selbst war in einen dunkelgrauen, gut geschnittenen Anzug gekleidet, darüber trug er einen halblangen Mantel aus teurem Wolltuch und anthrazitgraue, weiche Lederhandschuhe. Sein Gesicht war blass wie immer und die schwarzen Augenbrauen traten hart hervor.
Trotz der kühlen Witterung und einbrechenden Dämmerung hatte Marlow Charles angewiesen, das Verdeck zurückzuschlagen. Die Fahrt ging hinaus nach Kensington, wo die Versammlung im Haus von Mrs. Wickfield stattfinden würde.
„Es gibt noch einige Kleinigkeiten, die Sie beachten sollten“, sagte Marlow, während Charles die Kutsche durch die belebten Straßen lenkte. „Ich werde Sie als eine „junge Verwandte“ vorstellen. Der Verwandtschaftsgrad ist nicht genau festgelegt – es wird auch niemand so genau danach fragen.“
Violet hob überrascht den Kopf.
„Aber … aber das ist doch die Unwahrheit!“, rief sie entsetzt. „Nein, Mr. Marlow. Auf solch eine Lügengeschichte lasse ich mich auf keinen Fall ein. Ich wüsste auch nicht, wozu dies alles gut sein sollte.“
Er musterte sie aufmerksam und schien zu überlegen. Dann seufzte er und zog eine bekümmerte Miene.
„Nun, ich kann Sie nicht dazu zwingen“, meinte er zögernd, „aber Sie würden mich durch diese kleine Notlüge aus einem großen Dilemma befreien. Es gibt Bestrebungen einer sehr einflussreichen Familie, mich zu einer Heirat zu drängen. Das Angebot abzulehnen, wäre für mich sehr problematisch – um ehrlich zu sein, es würde meinen beruflichen Ruin bedeuten. Eine mittellose junge Verwandte an meiner Seite, um die ich mich kümmern muss, das würde die heiratswütige Dame etwas abkühlen. Sie verstehen?“
Violet schüttelte energisch den Kopf. Irgendetwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass er log.
„Nein, Mr. Marlow. Ich bin nicht bereit, mich für eine andere auszugeben. Wie stellen Sie sich das vor? Man wird mich ja doch wieder erkennen, wenn Sie Gäste einladen. Wie wollen Sie erklären, dass Ihre Hausdame zugleich Ihre Nichte ist?“
Er grinste und machte eine Miene, als seien ihre Einwände vollkommen unsinnig.
„Denken Sie doch einmal nach, Miss Burke. Weshalb sollte meine Nichte, die für eine gewisse Zeit bei mir wohnt, nicht meinem Haushalt vorstehen? Sie sind von einer Hausdame zur Verwandten avanciert, Miss Burke. Darauf sollten Sie
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