Schwarze Rosen
weiter.
Auf der Piazza della Signoria blitzten lauter Fotoapparate um ihn herum, die den Platz verewigten. Ungeachtet des Windes waren die Tische vor den Cafés und Restaurants wie stets voll besetzt. An einer Seite unterhielt ein Straßenmusikant die Flanierenden, die stehen blieben und applaudierten, und auf der anderen stellte ein Mime eine Marmorstatue dar und bewegte nur leicht die Lippen, wenn ihm jemand eine Münze zuwarf.
Ferrara wandte sich nach rechts in Richtung der Ponte Vecchio, die zu dieser Stunde nur schwach beleuchtet war. Die Läden der Goldschmiede waren inzwischen geschlossen und mit Holzplatten verrammelt. Gezwungenermaßen musste er mitten auf der Straße gehen, denn die Straßenhändler, alle ohne Genehmigung und alle Ausländer aus nicht EU-Staaten, hielten beide Ränder besetzt. Ein Auge auf die Passanten und das andere wachsam auf die nähere Umgebung gerichtet, priesen sie ihre durchweg gefälschten »Designerprodukte« an: Handtaschen, Portemonnaies, Reisetaschen … Eine ständig wachsende Parallelwirtschaft, trotz der Anstrengungen von Polizeipräsident und Bürgermeister, ihr entgegenzuwirken, und der fast täglichen Proteste der Geschäftsinhaber. Alles zwecklos. Die fliegenden Händler machten ihrem Namen alle Ehre und waren heute in Florenz und morgen in einer anderen Stadt oder anderen Region.
Zudem hatten sie eine Methode, um sich der Strafverfolgung zu entziehen: Beim ersten Anzeichen von Polizeipräsenz ergriffen sie schneller, als man hingucken konnte, dievier Zipfel des Tuches, auf dem sie ihre Ware feilboten, und verschwanden in den Straßen und halbdunklen Seitengassen. Solche Szenen mochten komisch wirken und den Vorbeigehenden ein unwillkürliches Lächeln entlocken, aber sie zeigten auch, dachte man ernsthaft darüber nach, das Ausmaß des Verfalls von Gesetz und Ordnung in der Stadt.
Der Commissario beschleunigte seine Schritte und stand ein paar Minuten später vor seinem Haus. Er winkte dem Fahrer aus einiger Entfernung zu, ging hinein und schloss sofort die Haustür hinter sich.
20
DONNERSTAG, 24. JUNI
Sie war dort, in der Kirche San Lorenzo, ganz vorn bei der ersten Bank.
In der Hand hielt sie eine Einkaufstüte.
Sie wartete auf ihn.
Ispettore Venturi hatte sie vor zwei Tagen abends angerufen, als er gerade auf dem Heimweg gewesen war und an einer Ampel gewartet hatte, und ihr knapp das Wichtigste geschildert. Sie war eine alte Freundin, an die er sich wandte, wenn er erfahren wollte, was in den Kreisen, die sich mit Esoterik und okkulten Praktiken befassten, so geredet wurde, besonders nach einem ernst zu nehmenden Vorfall. Venturi betrachtete sie als seine Beraterin, worauf sie stolz war.
Er selbst hatte diesen Treffpunkt gewählt, damit es nach einer zufälligen Begegnung aussah.
Sie trug ein knielanges schwarzes Kleid und eine Umhängetasche von derselben Farbe. Venturi betrachtete Silvia, während er auf sie zuging. Ihr Gesicht schien schmaler geworden zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie hatte im vergangenen Jahr ihren Mann durch einen Verkehrsunfall verloren und konnte sich trotz der liebevollen Zuwendung ihrer Familie immer noch nicht mit diesem plötzlichen Verlust abfinden.
»Einkäufe?«, fragte er, als er sie erreichte, und deutete mit dem Kinn auf die Tüte.
»Zwei kleine Mitbringsel für meine Neffen.«
»Also, Silvia, was hast du mir zu sagen?«, kam er gleich zur Sache.
»Dieser Schnitt im Gesicht der armen Frau kann meiner Ansicht nach kultisch gedeutet werden.«
»Und das heißt?«
»Das dritte Auge …«
»Das dritte Auge?«
»Das ist schwer zu verstehen, wenn man nichts für diese Dinge übrig hat …«
»Erklär’s mir!«
Der Schnitt auf der Stirn symbolisiere die Öffnung des dritten Auges, führte sie aus. Östlichen Lehren zufolge sei es ein wichtiges Energiezentrum, das den sogenannten sechsten Sinn ermögliche, die Intuition oder auch die Wahrnehmung übersinnlicher Phänomene.
»Es wird auch als das ›sechste Chakra‹ bezeichnet«, erläuterte sie, merkte jedoch, dass der Ispettore nicht mitkam. »Siehst du, du verstehst es nicht, Riccardo.«
»Aber was soll das denn in unserem Fall bedeuten?«
»Das weiß ich auch nicht, ich kann es nur vermuten«, antwortete sie mit einem kleinen Lächeln.
»Dann sag mir, was du vermutest!«
»Vielleicht wollte der Täter, möglicherweise ein Adept, eine Botschaft senden.«
»Eine Botschaft? An wen?«
»An jemanden, der seinen sechsten Sinn nicht entwickelt
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