Schwarze Schafe in Venedig
Betreffenden umstandslos aus dem Fenster und in das flache trübe Wasser darunter zu befördern. Da es aber Victoria war, die mir diese Vorhaltungen machte, ließ ich alles klaglos über mich ergehen und schicksalsergeben den Kopf hängen.
»Genau genommen«, fuhr sie fort, wie ein Zahnarzt, der einfach grundlos noch zwei weitere Löcher bohrt, »kann ich mich tatsächlich ganz genau daran erinnern, dich gewarnt zu haben, dass so etwas passieren könnte. Ich glaube, ich erwähnte sogar, gerade du müsstest dir doch der Risiken bewusst sein.«
An diesem Punkt, so muss ich zu meiner Schande gestehen, ließ meine Geduld dann doch ein klitzekleines bisschen zu wünschen übrig, und womöglich habe ich etwas nicht ganz so Nettes in meinen Bart gemurmelt.
»Wie bitte?«, fragte sie.
»Ich sagte: ›Würdest du bitte das Fenster zumachen?‹«
Victoria stemmte die Hände in die Hüften und funkelte mich misstrauisch an. Dann klopfte sie mit der Zehenspitze ihrer Hausschühchen auf den Boden.
»Es wird kalt«, meinte ich und zitterte ein bisschen, um meiner Aussage etwas Nachdruck zu verleihen.
»Das brauchst du mir nicht zu sagen.«
Argwöhnisch musterte sie mich von Kopf bis Fuß, worauf mir siedend heiß einfiel, wie wenig ich anhatte. Die Boxershorts und der Regenschirm bedeckten kaum meine Blöße. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Meine Arme bedeckten meine Blöße allerdings auch kaum.
»Ich ziehe mir lieber schnell was über.«
»Tu das.« Womit Victoria das Fenster zuschlug und den trostlosen Nebel aussperrte. »Ich setze derweil Wasser auf. Scheint, als gäbe es einiges zu überlegen.«
Es gab eine ganze Menge zu überlegen, wie sich schnell herausstellte. Zuerst grübelten wir, wer von meinem Hammett-Roman gewusst haben könnte. Dann zerbrachen wir uns den Kopf, wie wir die katzenhafte Fassadenkletterin identifizieren und aufspüren könnten. Am allermeisten allerdings beschäftigte uns das kleine rote Kärtchen, dass sie dagelassen hatte.
Es war ungefähr halb so groß wie ein Taschenbuch, und auf der einen Seite war ein aufgeschlagenes Buch zu sehen. Auf die Buchseiten war in schwarzer Schrift ein langer italienischer Text gedruckt. Mein Italienisch ist grauenhaft, aber mit vereinten Kräften und mit Hilfe eines ramponierten Wörterbuchs gelang es uns, einiges davon zu entziffern.
Demnach machte das Kärtchen Reklame für ein auf Buchbinderei und Restaurierung spezialisiertes Geschäft im Stadtteil San Marco. Die hohe Kunst der Buchbinderei und die Läden, die diese verkaufen, sind eine venezianische Spezialität. Aber ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, irgendwen um Hilfe bei der Konservierung meines Hammett-Romans gebeten zu haben, und es wäre doch ziemlich grotesk anzunehmen, der Laden habe mir einen Einbrecher ins Haus geschickt, um mitten in der Nacht mein Buch zur Restaurierung abholen zu lassen.
»Wirklich seltsam«, erklärte Victoria mir, die Hände um eine dampfende Tasse englischen Tees gelegt.
»Wem sagst du das? Ich habe ja schon davon gehört, dass Einbrecher ihre Visitenkarte hinterlassen, aber doch nicht so was.«
»Vielleicht ist das eine Guerilla-Marketingkampagne.«
»Für einen venezianischen Buchbinder?«
»Hmm, wäre vermutlich ein klein wenig zu aggressiv.«
»Findest du?«
Und damit knallte ich das Wörterbuch auf den hölzernen Überseekoffer, der mir als Couchtisch diente, und legte die Karte obendrauf. Ich hockte auf dem wackeligen Stuhl, der sonst an meinem Schreibtisch stand. Victoria saß mir gegenüber auf dem lederbezogenen Chesterfield-Sofa, die Beine hochgezogen und unter dem rosaroten Morgenmantel versteckt, den sie sich übergezogen hatte.
Meine Wohnung war eher spärlich möbliert, und viele der Einrichtungsgegenstände stammten ursprünglich aus England. Das Haus, in dem ich wohnte, gehörte einem pensionierten Ehepaar, das die Maisonette-Wohnung unter mir bewohnte – ein ehemaliger praktischer Arzt aus Cambridge mit seiner italienischen Ehefrau –, und die beiden hatten sämtliche Etagen des Hauses mit Habseligkeiten ausgestattet, die sie im Gepäck hatten, als sie vor mehr als zehn Jahren nach Venedig umzogen. Die Wohnung über mir stand momentan leer, doch das würde sich in ein paar Wochen ändern, wenn nämlich mit dem C arnevale im Februar die Touristensaison begann.
Victoria war seit drei Tagen mein Gast. Zwei Wochen wollte sie bleiben und in dieser Zeit meinen neuen Roman lesen. Vermutlich sollte ich froh sein, dass
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