Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
voran. Ly war froh, dass er am Tatort war und die Arbeit nicht allein seinen Mitarbeitern überließ. So konnte nicht viel schiefgehen.
Ly krempelte die Hose hoch, zog seine Schuhe aus und folgte ihnen. Er musste sich gegen den Strom stemmen, damit es ihm nicht die Füße wegriss. Dafür, dass die Regenzeit noch nicht eingesetzt hatte, war die Strömung ziemlich stark.
Die Männer der Spurensicherung hatten einen erhöhten Punkt erreicht. Ly war fast bei ihnen. Es stank erbärmlich. Er hielt sich mit einer Hand Mund und Nase zu. Seine Anspannung stieg. Ly hoffte, dass es nicht schon wieder eine junge Frau war. So wie die Ertrinkende in seinem Traum.
Die Leiche lag auf einer winzigen Sandbank und war dick mit Schlick überzogen. Sie lag auf dem Bauch. Das Blitzlicht eines Fotoapparats zuckte auf. Scheinwerfer sprangen an, die den Tatort in ein unwirkliches Licht tauchten.
»Fertig?«, hörte Ly Dang fragen. »Dann umdrehen.«
Der Schlick hielt die Leiche fest. Sie war kaum zu bewegen. Es quietschte, und der Körper löste sich mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Flussbett. Sie drehten ihn um und ließen ihn rücklings fallen. Es klatschte dumpf, und der Matsch spritzte. Ly ratterte seine Beschwörungsformel gegen die bösen Geister herunter, ohne den Blick von der Leiche abzuwenden. Er atmete auf. Es war ein Mann. So hatte sein Traum doch nicht alles vorweggenommen.
Die Haut des Toten war aufgedunsen, wächsern und braun. Er musste schon länger im Wasser gelegen haben. Die Füße waren mit einem Seil zusammengebunden. Ly meinte, unter der Wangenhaut eine Bewegung wahrzunehmen. Über den Hals krabbelte ein kleiner Krebs. Nase und Ohren waren weggefressen. Ly schaute zu Dang hinüber, der die Leiche betrachtete, als sei sie ein Kunstwerk. Konzentriert und sachlich. Ly selbst kämpfte gegen einen Würgereiz an.
»Was meinst du?«, fragte Ly.
»Mord. Selbstmord. Alles ist denkbar. Dr. Quang müsste gleich hier sein. Wir suchen jetzt die Umgebung ab.«
Es würde schwer werden, in diesem Matsch Spuren zu finden. Es war schon ein großer Zufall, dass die Leiche überhaupt entdeckt worden war. Der Strom hätte den Mann genauso gut für ewig verschlucken können. Oder erhätte hier unentdeckt gelegen, bis er verwest war. Bei dem Kloakengestank am Ufer wäre das niemandem aufgefallen.
Dang zog seine Gummihandschuhe über und schob Ly beiseite. »Ich rufe dich später an.«
»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte Ly noch.
Dang wies mit einer Kinnbewegung zum Ufer. Jetzt erst nahm Ly die drei Jungen wahr, die auf der Böschung unterhalb der Absperrung saßen.
Er ging zum Ufer zurück. Dort war der Gerichtsmediziner bereits eingetroffen. Dr. Quang wies gerade die Bahrenträger an, mit ihm hinauszukommen, packte seinen Aluminiumkoffer und nickte Ly zu, wie immer mit diesem seltsam entspannten Lächeln. Und das bei diesem Job. Immerhin nahm er keine gebratenen Nudeln mit zur Leiche raus, dachte Ly.
Ly ging zu den Jungen, die die Leiche gefunden hatten. Sie sahen ihn mit großen Augen an. Ihre Wangen waren von Staub und Tränen verschmiert. Ly hockte sich zu ihnen. »Ihr habt die Leiche entdeckt?«, fragte er, so freundlich es ging. Er wollte die Kinder nicht noch mehr verschrecken. »Was habt ihr denn hier unten gemacht?«
Sie sahen sich an, sichtlich unschlüssig, ob sie überhaupt mit ihm reden sollten.
»Nehmen Sie uns jetzt mit?«, fragte der Größte der drei. Er zog den Rotz hoch und wischte mit dem Handrücken über sein Gesicht.
»Nein. Ihr habt doch nichts angestellt, oder?«
Die Jungs schüttelten die Köpfe.
»Seid ihr oft hier?«
»Manchmal. Wir haben hier gespielt«, sagte wieder derselbeJunge und zeigte ihm einen zerfledderten weißen Hahn, den er hinter seinem Rücken versteckt hatte. Er hielt den Vogel an den Beinen, mit dem Kopf nach unten.
»Um welche Zeit habt ihr den Mann gefunden?«
Keiner von ihnen trug eine Uhr. Was sollte es? Die Uhrzeit war egal. Der Mann war schon lange tot gewesen. »Ihr müsst den Hahn besser pflegen. So abgemagert, wie er ist, wird er nie gewinnen«, sagte Ly und ging.
*
Der Schlamm war schwer und presste ihn auf den Boden. So sehr er sich auch anstrengte, er schaffte es nicht, sich aus dem Flussbett zu lösen. Über ihm lachte jemand. Er sah den Krebs, der an seiner Nase knabberte. Wellen brachen über ihm zusammen. Atme. Nicht aufgeben. Er schnappte nach Luft. Immer mehr Wasser schwappte in seinen Mund.
»Papa, wach auf.« Huong rüttelte ihn wach. Ly
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