Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
standen. Neben dem Weg zum Eingang wucherte hohes Unkraut. Ly betrat das Gebäude. Im Korridor empfing ihn eines dieser Spruchbänder, die sonst nur in den kleinen lokalen Dienststellen hingen.
»Eigenschaften der Polizei:
Standhaft und schlau gegenüber dem Feind
Höflich und respektvoll gegenüber dem Volk
Absolut treu gegenüber dem Staat
Fleißig gegenüber dem Dienst.«
Ly kräuselte seine Stirn. Wie ihn diese Propaganda anödete. Er sah sich um. Das gesamte Erdgeschoss schien verlassen, nichts als leere Schreibtische. Fleißig war hier niemand. Im ersten Stock, in einem Raum mit schmutzigen Wänden, an denen nichts als eine einzige alte Landkarte von Hanoi hing, lag ein Mann auf einer Strohmatte und schnarchte leise. Ly trat ihm mit der Schuhspitze gegen den Rücken.
Der Mann rollte sich herum und schlug die Augen auf. »Was gibt’s?«, fragte er, wobei er liegenblieb.
»Was ist denn hier los?«, fragte Ly. »Ich suche Xuan.«
»Der ist nicht da.«
»Das sehe ich. Arbeitet hier niemand?«
»Die waren alle die ganze Nacht im Einsatz.«
»Sie auch, so, wie Sie aussehen.« Ly seufzte. »Richten Sie Xuan aus, dass Kommissar Pham Van Ly hier war.«
Der Kopf des Mannes lief hochrot an, er sprang auf und salutierte. »Entschuldigen Sie.« Schnell stopfte er sich sein Hemd in die Hose und zog seine Uniformjacke über.
»Ich will auf den Fluss«, sagte Ly. »Er soll sich melden.«
*
Es war früher Nachmittag, als Ly ins Präsidium kam. Er hatte erwartet, Lan in ihrem Büro anzutreffen. Doch der Raum war leer. Er trank eine Cola, die er bei ihr im Kühlschrank gefunden hatte. Dann stieß er die Tür zu seinem Büro auf, blieb aber unschlüssig im Türrahmen stehen.Auf dem Boden standen zwei Metallkisten, auf seinem Schreibtisch türmten sich mehrere Videogeräte, daneben standen zwei Bildschirme. Versteckt hinter dieser Installation saß seine Assistentin.
»Hast du kein eigenes Büro?«
»Warum bist du so schlecht gelaunt?«, konterte Lan und schaute dabei nicht einmal von den Bildschirmen hoch.
»Ich bin nicht schlecht gelaunt. Ich mag nur dieses Chaos auf meinem Schreibtisch nicht.« Aber Lan hatte recht. Er war müde und gereizt. »Was machst du da eigentlich?«
»Dieser Geschäftsmann Tran Dinh Nam hat gelogen. In der Tatnacht standen weder der russische Jeep noch der Toyota vor seinem Haus. Ich schaue mir die Videos aus den Überwachungskameras an. Ganz schön blöd. Er muss doch wissen, dass sein Luxusblock videoüberwacht ist.«
»Eigentlich schon.«
»Und übrigens, Herr Vu Van Oanh, der Straßenwart vom Tempel, war vorhin hier.«
»Ist ihm noch was eingefallen?«
Sie schnalzte mit der Zunge. »Wo denkst du hin? Neugierig war er. Wollte wissen, ob du den Mörder geschnappt hast. Und ob du endlich weißt, wer die Tote war.«
»Deswegen ist er hergekommen?«
»Hatte sicher Langeweile, der alte Herr.«
»Das war alles?« Er sah Lan an, dass sie noch etwas auf Lager hatte.
»Na ja, er wollte dir auch einen Vorschlag machen. Er sagte, er kenne da ein Medium, eine Frau, mit gutem Draht zur jenseitigen Welt. Vielleicht könnte sie in Erfahrung bringen, wer die Tote war.«
Ly verdrehte die Augen.
»Es wäre einen Versuch wert«, fuhr Lan fort. »An diesem staatlichen Institut, UIA oder so ähnlich, machen sie neuerdings auch solche Experimente. Sie suchen nach den sterblichen Überresten von Gefallenen. Und sie nutzen die Medien auch, um Tote zu identifizieren. Es soll funktionieren.«
Ly schüttelte heftig den Kopf. Seelenanrufung. So weit käme es noch.
Lan setzte gerade an, noch etwas zu sagen, da platzte Ngoc ohne anzuklopfen ins Büro.
Das war ja wie im Bahnhof hier. Ly fluchte.
Lan sah Ly streng an. »Ich habe Ngoc gebeten, mir zu helfen. Du warst ja nicht da. Ngoc war so nett, sowohl Tran Dinh Nam als auch seine Frau noch einmal zu verhören.«
»Und?«, fragte Ly zu Ngoc gewandt.
»Sie war zur Tatzeit bei ihrem Macker«, sagte der. »Auch Frauen ficken rum. Was ist das nur für eine beschissene moderne Welt. Sie ist sofort heulend zusammengebrochen.«
»Da hast du dich sicher von deiner freundlichsten Seite gezeigt«, sagte Ly.
Um Ngocs Mund zuckte ein Grinsen, das Ly kaum ertrug.
»Was ist mit dem Mann?«, fragte Ly. Er dachte an das, was Phuong ihm erzählt hatte, von ihrem Vergewaltiger, der ihren Eltern ein hohes Schweigegeld bezahlt hatte. Es sei ein reicher Geschäftsmann gewesen, hatte sie gesagt. Vielleicht war ja auch dieser Tran Dinh Nam jemand, der meinte, Sex
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