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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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mit der aktuellen Realität zu tun? Jetzt könnten sie noch einmal ganz von vorne anfangen. Sie hatten nichts in der Hand. Der UAZ war mehrere hundert Meter vom Tempel entfernt durch eine Baustelle gefahren. Na und?
    Ly wollte so schnell wie möglich dieses muffige Haus wieder verlassen. Doch dann nahm er die Veränderung wahr. Das Murmeln der Alten hatte nun einen Ton angenommen. Leise, aber doch gut zu verstehen. »Da sind sie, sie kommen, sie kommen.« Und dann entfuhr ihrer Kehle ein Schrei, laut und schrill. Sie schrie und schrie und hielt sich dabei selbst die Ohren zu.
    *
    Ly musste tief durchatmen, als sie endlich wieder auf der Straße standen. Lan war blass. »Genau wie bei meinem Großvater«, sagte sie. »Da gab es auch diese Geräusche und Situationen. Er schrie dann einfach.« Lans Stimme bebte leicht. »Es war das Motorgeräusch des UAZ. Sie hat es erkannt. Es war genau der Moment, wo es anfing.«
    Ly nickte, war sich aber nicht so sicher, ob es nicht doch einfach nur Zufall war. »Lass uns morgen überlegen, wie wir weitermachen«, sagte er und sah auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, konnte er Huong noch an der Schule abfangen.
    *
    Die ersten Kinder strömten auf die Straße. Doch noch bevor Ly Huong irgendwo entdecken konnte, klingelte mal wieder sein Telefon. Es war die Zentrale. Ly sollte dringend nach Phuc Tan kommen. Es gab eine neue Leiche.
    *
    Phuc Tan war ein Teil Hanois, in den Ly selten kam. Obwohl dieser Bezirk nur wenige Minuten von der Altstadt entfernt war, schien er doch seltsam isoliert. Der Stadtteil war kaum mehr als eine angeschwemmte Sandbank. Er lag außerhalb der Deichmauer am Ufer des Roten Flusses und wurde in der Regenzeit regelmäßig von schlammigen Wassermassen überflutet.
    Man sagte, nach Phuc Tan zogen seit jeher nur die, die sich kein trockenes Haus leisten konnten. Es war ein Auffangbecken für Zugezogene und Wanderarbeiter und verrufen als Unterschlupf für Kriminelle. Die Geschichtenvon Drogenhändlern, Messerstechereien und Schlägereien, die man regelmäßig in den Zeitungen las, schienen immer dort zu passieren. Selbst die Anwesenheit einiger teurer Restaurants konnte seinen Ruf nicht aufbessern.
    Vor dem Fluttor drängten sich die Menschen. Nach einem langen Arbeitstag strömten sie zurück zu ihren Schlafquartieren. Es war jetzt dunkel. In Hanoi kam die Nacht früh und mit einem Schlag, ohne Vorwarnung.
    In den Bäumen hingen bunte Glühbirnen, die ihren Strom aus dem frei über dem Weg hängenden Kabelwirrwarr zogen. Aus Innenräumen schimmerte das grünliche Licht von Neonlampen. In jedem Erdgeschoss und jedem Vorhof gab es ein Restaurant oder eine Bierstube. Hausbesitzer hatten die Türen aufgezogen und schier endlose Reihen aus niedrigen Stühlen und Tischen aufgestellt. Die Staubreisküchen, wie die Läden wegen ihrer Nähe zur Straße genannt wurden, machten hier ihrem Namen alle Ehre. Überall saßen Menschen. Bier wurde gezapft, Fleisch und Fisch gebraten, Seidenraupen wurden geröstet. Der Boden war übersät mit abgenagten Knochen. Es roch nach altem Öl und Alkohol.
    Fliegende Händler verstopften mit Körben, Radkarren und hoch beladenen Fahrrädern den Weg. Vor Ly schob ein von Kohlenstaub schwarzer Mann ein Fahrrad, auf dessen Gepäckträger sich Presskohlezylinder in Konservendosenformat türmten. Daneben humpelte ein Ballonverkäufer, über ihm schwebte eine Wolke aus Herzen, Godzillas und Spider-Man-Figuren. Ly kam so langsam voran, dass er sich mit einem Fuß abstützen musste, um nicht umzukippen. Vor einem Haus, an dem ein Pappschild mit der Aufschrift »Fahrzeug-Parken« hing, ließ erseine Vespa stehen, zahlte 2 000 Dong im Voraus und ging zu Fuß weiter. »Marihuana, Opium«, raunte ein Mann Ly zu.
    »Verpiss dich.«
    Am Ende der Straße stand ein uniformierter Beamter, rauchte und wippte auf den Zehen. Er wartete auf Ly. Ly kannte den Mann vom Sehen, wusste aber seinen Namen nicht. Sie begrüßten sich, und Ly folgte ihm. Plötzlich erloschen alle Lichter. Stromausfall.
    Sie bogen ein paarmal ab und zwängten sich schließlich durch einen schmalen Gang zwischen zwei Häuserzeilen. Dahinter lag der Fluss, breit und zähfließend.
    Sie waren nicht die Ersten. Schaulustige drängten sich vor einem rot-weißen Absperrband. Ly schob sich durch die Menge. Der Mond war hell genug, so dass er die Männer von der Spurensicherung ausmachen konnte. Sie wateten bis zu den Knien im Fluss. Ihr Chef, Do Van Dang, ein schmaler, unscheinbarer Mann, ging

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