Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
aber er war einfach nur erleichtert. Wenn es sonst nichts war.
»Aber mach dir keine Sorgen«, sagte sie.
Im Hintergrund hörte Ly seinen Sohn laut weinen.
»Mutter, gib ihn mir mal bitte.«
»Wirklich, es ist nichts Ernstes. Alles gut«, sagte sie, reichte dann aber den Hörer weiter.
»Papa, Papa …« Das dritte »Papa« ging in Schluchzern unter.
»Schatz. Wie geht es deiner Hand?«, fragte Ly und hätte nichts lieber getan, als Duc jetzt fest an sich zu drücken.
»Papa, hol mich ab.«
»Duc. Ich muss arbeiten. Ich …«
»Bitte, Papa.«
Wieder schluchzte Duc, diesmal noch lauter. Ly konnte es kaum ertragen.
»Die ärgern mich alle. Stadttrottel sagen sie.« Er schniefte.
Ly musste grinsen. Eigentlich hieß das Schimpfwort nha que , Landei. Aber das brachte Ly seinem Sohn jetzt lieber nicht bei. Das Wort würde ihm im Dorf keine Freunde machen.
»Nicht mal auf einem Wasserbüffel reiten kann ich. Alle lachen mich aus.«
»Schatz, dafür kannst du schon mit meiner Vespa fahren. Sag ihnen das.« Einmal hatten sie zusammen in einer kaum befahrenen Straße im Regierungsviertel geübt. Duc war zwar kaum an Gaspedal und Lenkrad gleichzeitig gekommen. Aber Spaß hatte es trotzdem gemacht.
*
Vom Tay-Ho-Tempel war es nicht weit bis zur Hauptwache des Wasserschutzes. Ly musste nur einmal die Deichstraße kreuzen und durch eines der Fluttore fahren. Xuan fand er an seinem Schreibtisch im ersten Stock, hinter einem Haufen ungeordneter Dokumente. Im Akkord haute er einen Stempel zwischen einem Stempelkissen und den Papieren hin und her. Ly war dieses Geräusch nur allzu vertraut. Ohne rote Stempel war in diesem Land nichts etwas wert.
»Bin gleich für dich da«, sagte Xuan, ohne den Blick zu heben.
Ly bahnte sich seinen Weg durch die auf dem Boden herumliegenden Aktenordner zum Fenster. Von dort konnte man weit über den Fluss schauen. In einiger Entfernung konnte Ly den Ankerplatz der Sampanschiffer ausmachen. Er nahm das Fernrohr, das auf der Fensterbank lag, und fixierte die Boote. Den Sampan mit dem blauen Wellblechdach entdeckte er allerdings nicht.
Nach einigen Minuten legte Xuan den Stempel beiseite, verließ kurz den Raum und kam mit einer Flasche Selbstgebranntem und zwei Gläsern zurück. So wird das nie etwas mit der Abstinenz, dachte Ly.
»Hübsche Frau vorhin«, sagte Xuan, nun doch.
Ly gab nur ein Murren von sich.
Xuan schenkte ein, trank sein Glas sofort leer und schenkte nach. »Habt ihr was Neues rausgefunden?«, fragte Ly.
Xuan schüttelte den Kopf. Wie er vermutet hatte, standen auf allen Sampans Säcke mit Erdnüssen herum. »Und Thinh, diesen Mann mit den hellen Augen, haben wir auch nicht angetroffen. Die Schiffer sagen, er sei schon seit ein paar Tagen verschwunden.«
»Blödsinn. Ich hab ihn doch selbst noch da unten gesehen«, sagte Ly.
Xuan hob entschuldigend die Hände. »Was soll ich machen? Er war nicht da. Und ich hab dir schon mal gesagt, dass diese Schiffer dich nicht weiterbringen. Sie reden, wie es ihnen in den Kram passt. Die Wahrheit wirst du von denen nie hören.«
Xuans Art, über diese Schiffer zu reden, hatte etwas Respektloses. Ly fragte sich, warum er sie so sehr verachtete. Es mochten Vagabunden sein, vielleicht sogar Kleinkriminelle.Aber das konnte doch nicht der Grund sein. Lys Blick glitt zum Fenster und über den Fluss und kehrte dann zu Xuan zurück. Was wusste er eigentlich über seinen Kollegen?
*
Trotz Dunkelheit war es nicht kühler geworden. Die Luft stand, es wehte nicht ein einziger Windhauch. Um sechs Uhr hatte er Huong bei Minh abgeholt. Sie war schlecht gelaunt nach all der Stubenhockerei. Erst nachdem sie im Kino der Vincom Mall den neuen Harry-Potter-Film gesehen hatten, war sie besserer Laune. Ly konnte der klimatisierten Welt dieser Malls wenig abgewinnen, aber der Film hatte ihm gefallen. Während der Vorstellung hatte Huong Cola getrunken und eine große Tüte Popcorn geknabbert. Jetzt saßen sie im Lac Viet und genossen ein ausgiebiges Abendessen: Salat aus Bananenblüten, in Kokosmilch gedämpfte Tigergarnelen, karamellisiertes Schweinefleisch, in Knoblauch gedünsteter Wasserspinat. Sie blieben lange und bestellten sogar noch einen Nachtisch. Eis aus jungem grünem Reis. Ly betrachtete seine Tochter. Bald würde sie erwachsen sein und ihn nicht mehr brauchen. Zumindest nicht so wie bisher.
»Papa, wie weit bist du mit deinen Ermittlungen? Wann kann ich endlich wieder allein auf die Straße gehen?«
»Bald, Schätzchen.«
»Was
Weitere Kostenlose Bücher