Schwarze Schmetterlinge
aufpassen. Du hast sie doch nicht verschenkt? Hast du das?«
Arvidsson beschloss, ein Bier an der Bar zu nehmen, bis der Familienstreit beigelegt war. Das Gespräch am Tresen drehte sich, wie zu erwarten gewesen war, um den Brand im Conventum.
»Es ist doch wirklich zu übel, dass die Polizei nicht einmal einen Verdächtigen hat.« Ein Mann in schwarzem Polohemd, schwarzem Jackett und mit einem ordentlichen kleinen Kinnbart nahm einen Kognakschwenker in Empfang und sah sich nach jemandem um, mit dem er reden könnte. Der Satz war als Köder ausgeworfen, und Arvidsson biss sofort an. Er war derselben Ansicht. Zu übel aber auch, dass die Polizei keinen Verdächtigen hatte. Die Miene des Manns in Schwarz hellte sich auf, und er machte ein paar Schritte in Arvidssons Richtung.
»Ich habe den Toten gekannt, müssen Sie wissen. Frank Leander und ich waren Studienkollegen. Er war schon damals verdammt gut im Halten von Vorträgen. Wir hatten denselben Rhetorikkurs an der Universität belegt. Sie wissen schon, Platon, Cicero. Ich muss sagen, dass ich ihn manchmal in Verdacht hatte, eigene griechische Geistesgröße zu erfinden. Oder haben Sie etwa jemals von der Theorie des Dioflexnes über Chaos und Kosmos gehört?«
Per konnte sich an nichts dergleichen erinnern. Vielmehr musste er gestehen, dass seine Kenntnisse in Philosophie nur sehr rudimentär waren.
»Frank war verteufelt gut mit den Griechen. Weil ihr die Chaostheorie des Dioflexnes ja alle kennt, gedenke ich keine Zeit damit zu verschwenden, weiter darauf einzugehen. Und dann leitete er alles, was er hatte sagen wollen, aus dem hervor, was uns verborgen geblieben war. Schon damals hatte er eine ziemliche Wirkung auf Frauen. Hat nichts anbrennen lassen, bis er eine Frau gefunden hat, die er heiraten konnte. Die Opernsängerin Lovisa Bjerhov brachte ihn dann schließlich dazu, sich zu binden. Von der haben Sie bestimmt schon mal gehört, oder?«
Per schüttelte den Kopf. »Höre keine Opern.«
»Reiche Familie mit viel Grundbesitz, ihr Vater war Lateinprofessor, Status und Glamour. Leander wusste, was er tat, als er sich mit ihr verbandelte und sich so mit einem Mal aus dem armseligen Leben als Student und Bohemien erhob. Ja, verdammt, was für ein Leben man damals lebte. Leander konnte jeden unter den Tisch saufen. Das würde man gar nicht glauben, wenn man sein Fernsehprogramm über gesunde Lebensführung sieht. Nein, wirklich, er trieb es am schlimmsten von uns allen.«
20
Per hatte seiner Schwester schon mehrmals versprochen, mit ihr den Bergslagswanderweg zu gehen, um dort die Orte kennenzulernen, die sie ihm so gern zeigen wollte. Die Namen waren phantasieanregend: Trolltopf und Wolfskessel. Aber die Zeit in Felicias Nähe kannte keine Grenzen und wollte kein Ende. Als Pernilla dann zweimal am selben Abend angerufen und auf ihn eingeredet hatte, versuchte er, sich mal ein wenig von außen zu betrachten und zusammenzureißen. »Ich zeige dir die schönsten Plätze, die ich kenne. Sie sind, gelinde gesagt, schwer zugänglich, aber sie sind die Mühe wert«, hatte sie ihm versprochen. Per zweifelte. Jede Minute ohne Felicia war eine Wüste an sinnloser Zeit und mangelnder Anregung.
Sie gingen bei Sonnenaufgang los. Der Nebel lag dicht über dem Weg. Sie kamen am Frösvidal vorbei und wanderten dann über den Schotterweg zum Naturreservat Trolldalen, wo die seltsame Natur von der Kraft des Schmelzwassers geformt worden war. An der Stelle, wo die Wassermassen gezwungen waren, die Richtung zu ändern, war ein riesiger Kessel entstanden. Eine Einbuchtung im Berg mit schäumendem Wasser, in dem die heruntergefallenen Blätter wie Boote im Strom schwammen. Wie hätte man dieses Phänomen in alten Zeiten auch anders erklären sollen, als dass die Trolle es als Topf benutzten?
Die Luft war angenehm kühl. Es roch nach Nadelwald, Pilzen und Regen. Pernilla ging vorneweg, in einem etwas schwankenden, lustigen Gang, der den Rucksack auf dem Rücken wippen ließ. Per empfand eine wachsende Zärtlichkeit für seine Schwester. Die wenigen Male, die sie über ihre Kindheit gesprochen hatten, hatten ihm klargemacht, dass er der Privilegierte von ihnen beiden gewesen war. Ihre Kindheit war eine Wanderung von einem Kinderheim zum nächsten gewesen. Wie überlebt man eine solche Kränkung? Wie lebt man mit dem Gefühl, für niemanden einzigartig zu sein? Sie drehte sich um und zwinkerte ihm zu, als hätte sie seine Gedanken gehört.
»Zurzeit kriegt man ja nicht viel
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