Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
Luftgriff, manchmal waren die von selbst gekappten Spitzen seltsam verknotet, damit sie nicht zu hoch wuchsen und vom Wind gepackt wurden, um dann ihren unglücklichen Kameraden über die Kante zu folgen.
    »Warte auf mich, Per.« Er hörte die Tränen in ihrer Stimme. »Warte auf mich.«
    Sie setzten sich auf einen ausgeblichenen Stamm und verschnauften. Per öffnete die Hand und lud sie zu einer Handvoll überreifer Blaubeeren ein. Sie lächelte, und ihr Gesicht war ein einziges Flehen.
    »Ich will doch nur dein Bestes.«
    Gemeinsam schauten sie über die Schlucht. Der Nebel schien dichter zu werden. Direkt am Felsrand stand eine grau gewordene Tanne, deren Krone zu Boden hing, der Körper war verschlungen und verdreht. Der Anblick machte ihn wehmütig.
    »Ich möchte dir etwas erzählen, Per.« Ihr Gesicht wurde zu einer strengen Maske. Der Blick verdunkelte sich. »Du musst mir versprechen, dass es unter uns bleibt. Dass du nie im Leben irgendjemandem auch nur andeutest, was ich zu dir gesagt habe. Kann ich dir vertrauen?«
    »Natürlich kannst du das.« Er merkte, dass sie zitterte, und legte die Arme um sie.
    »Ich habe Helen geholfen zu sterben. Es war nicht auszuhalten. Sie bat mich, flehte mich an, dass ich es tun solle. Also habe ich ihr die Sauerstoffmaske abgenommen und sie mit dem Kissen erstickt.«
    Per nahm den Arm von der Schulter seiner Schwester und starrte sie an, als könnte er die Worte, die sie sagte, nicht mit der wirklichen Person, die jetzt gerade neben ihm auf dem Baumstamm saß, zusammenbringen.
    »Sag etwas, Per! Rede mit mir! Du musst sagen, dass du verstehst, warum ich das getan habe.«
    Die Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum. Als Polizist hatte er die Pflicht, jede Art von Verbrechen zur Anzeige zu bringen. Seine eigene Schwester hatte einen Mord gestanden. Wenn er das doch nur nicht hätte erfahren müssen, dachte er. Wenn er doch zu Hause bei Felicia geblieben wäre, dann hätte er das Geheimnis nicht mittragen müssen. Doch im selben Moment, als er das dachte, schämte er sich schon für seine jämmerliche Art.
    »Sieh mich an, Per, sieh mich an.«
    Er konnte es nicht. Die Gedanken brauchten Zeit, um ihren Platz und ihre Bedeutung zu finden. Er stand auf, ging vor zur Steilkante und sah, wie sich der Bach da unten in der Schlucht zwischen verrottendem Farnkraut und moosbekleideten Wurzelbergen dahinschlängelte.
    Vielleicht lag es daran, dass er zusammenzuckte, als sie ihre Hand auf seinen Rücken legte. Vielleicht stolperte sie und fiel gegen ihn. Hinterher waren sie viel zu erschrocken, um klären zu können, wie es passiert war. Der Abhang kam ihm im Bruchteil einer Sekunde, während er zwischen festem Boden und Ewigkeit schwebte, entgegen. Er fiel und rutschte halb über den Felsrand. Er bekam mit den Fingern eine Spalte zu fassen, dann eine kleine Tanne, die nachgab, Pernillas Bein, Pernillas Jacke. Das eine Bein wieder hinauf über die Kante und dann das andere. Das Adrenalin rauschte durch den Körper. Das Herz saß ihm als Kloß im Hals. Wie ein achtbeiniges Insekt rollten sie ein paar Meter von dem Abgrund weg, bis er die Augen öffnete und ihr Gesicht über sich sah. Den schreienden Mund. Die weit geöffneten Augen. Und sie küsste ihn. Bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Eine lange Weile blieben sie fest umschlungen auf dem harten Boden liegen.
    »Ich hab mich so erschrocken. Du bist mein kleiner Bruder, du gehörst nur mir.«
    Ich bin ein großer Egoist, dachte er. »Tut mir leid, Pernilla. Ich kann nicht so schnell begreifen. Ich brauche Zeit. Ich verstehe, dass es unglaublich schwer gewesen sein muss.«

21
    Nach dem ersten anregenden Gefühl, als das Leichenfeuer des Conventum brannte, hatte das Grau des Alltags wieder die Oberhand gewonnen. Stück für Stück war die Unruhe herangekrochen. Durch ihren Kontakt zu den Seherinnen meinte Pyret ein Fenster zur Zukunft gefunden zu haben. Eine Möglichkeit, sich Vorteile zu verschaffen und Kontrolle zu gewinnen. Sie hatte gehandelt, ohne daran zu denken, dass sie sich damit auch selbst entblößte. Hätte sie sich auf die anonymen Gespräche am Tarot-Telefon beschränkt, dann wäre sie nicht in eine so gefährliche Situation geraten.
    Am meisten Einsicht und Nähe hatte ohne Frage Madame Elaine gezeigt. Die Ergebenheit, die sie in Bezug auf ihre besondere Gabe zeigte, war etwas Besonderes. »Eigentlich haben wir alle mehr oder weniger Kontakt mit dieser Form des Bewusstseins«, hatte sie erklärt. »Haben Sie noch nie

Weitere Kostenlose Bücher