Schwarze Schmetterlinge
erntete jedoch nur einen angsterfüllten Blick.
Um neun Uhr hatte Felicia immer noch nichts von sich hören lassen. Per schaltete die Nachrichten ein, konnte sich aber nicht konzentrieren. Fotos vom Brand im Conventum wurden mit Interviews von Feuerwehrleuten, der Leitung des Kongressgebäudes und der Allgemeinheit gemischt. Bilder von der Preisverleihung glitten über den Bildschirm. Herren im Frack. Ein Interview mit dem Sprecher des Verbandes. Frank Leanders Gesicht huschte in Sequenzen aus einem Amateurfilm in Schwarz-Weiß vorbei. Private Bilder. Sommer am Strand. Leander, der am Meeresufer entlanggeht und ein kleines Mädchen an der Hand hält. Das Kind lässt seinen Eimer fallen und zeigt auf eine Sandburg weiter hinten. Er lacht und nimmt sie auf den Arm. Zusammen sehen sie sich die Burg an, die sie gebaut hat. Beide lachen in die Kamera.
Per Arvidsson saß immer noch da und wartete auf den Wetterbericht, als der Spielfilm auf dem Vierten schon lange angefangen hatte. Könnte Felicia etwas zugestoßen sein? Die Angst, die das Mädchen auf dem Joggingweg empfunden hatte, war sicherlich nicht völlig unberechtigt. Ab und zu geschah es ja … Sollte er Felicia vor dem Krankenhaus abholen? Per drückte ihre Nummer auf seinem Handy und wurde von ihrer Mobilbox begrüßt. Er hinterließ eine wenig geistvolle Nachricht und fluchte vor sich hin. Sie könnte doch wenigstens mal anrufen. Es war doch klar, dass er sich fragte, wo sie blieb.
Per schaltete den Fernseher aus und legte eine CD von Eva Cassidy ein. »Autumn Leaves« war die Melodie, die sein Herz am meisten berührte. Das Gefühl, das dieses Lied ihm vermittelte, war gleichbedeutend mit Felicia – eine ständige Sehnsucht, ehe er gewusst hatte, dass sie es war, nach der es ihn verlangte. Wo konnte sie nur sein? Die Musik öffnete ihm wie immer den Zugang zu seinen Gefühlen. Er stand mit Tränen in den Augen am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Was weißt du von ihr, Per? Ein Keim der Unruhe, der zur Eifersucht heranwachsen kann. In seiner Nervosität gefangen, wanderte er in der Wohnung herum und berührte alle möglichen Gegenstände. Als das Telefon klingelte, stürzte er sich darauf.
»Per Arvidsson?«
»Hallo, Per. Ich bin’s, Papa. Du hast noch nicht geschlafen?«
»Nein, gar nicht.« Er hoffte, dass man ihm die Enttäuschung nicht anhörte. »Wie geht es dir, Papa?« Es wurde seltsam still in der Leitung. »Hallo, bist du noch dran, Papa? Bist du da?« Schniefen, Räuspern, ein zischender Hustenanfall. »Was ist denn? Ist was mit Mama?«
»Nein, mit Britt ist alles in Ordnung. Ich wollte dich nicht stören, aber ich glaube, es wird nicht mehr lange gehen.« Die Worte kamen stoßweise, eins nach dem andern.
»Ich setze mich sofort ins Auto.«
»Nein, Per, warte bis morgen. Ich hab nur das Gefühl, so allein zu sein. Jetzt haben sie mir Morphium und etwas zur Beruhigung gegeben. Ich werde schlafen. Wenn du morgen Zeit hast zu kommen, dann wäre das schön.«
Da meint man, seine Eltern wären immer für einen da, und alles werde so bleiben, wie es schon immer war, dachte Per, als er sich später im Bett zusammengerollt hatte. Er lag mit angezogenen Beinen da, das Kissen aufs Gesicht gedrückt, als würde er sich sogar in seiner Einsamkeit für seine Tränen schämen. Vom obersten Regalbrett im Kleiderschrank hatte er die Propellermütze geholt, die er von Folke bekommen hatte, und drückte sie jetzt an seinen Bauch.
Die Fürsorge, die Tatsache, dass jemand an einen denkt, das war bisher immer so selbstverständlich gewesen. Gedanken und Erinnerungen wirbelten in seinem Kopf herum. Wie er schon früh in der dunklen Waschküche zwischen den Häusern mit Mädchen herumprobiert hatte und dabei von Britt ertappt worden war, die ihm mit Schlägen gedroht hatte, wenn der Papa nach Hause käme. Schläge, die es nie gegeben hatte. Folke und er hatten zusammen geangelt, Modellflugzeuge gebaut, gelesen und neue Welten entdeckt, an Mopeds rumgebastelt, dann an Autos, und sie hatten ihre Gedanken geteilt. So viel Zeit, so viel Aufmerksamkeit und Liebe dürfen nicht alle Menschen erfahren, das wurde ihm auf einmal bewusst.
Mit schwerer Seele und schweren Augenlidern musste er dann doch eingeschlafen sein. Gegen vier Uhr wurde er von einem fremden Geruch aus seinem unruhigen Dämmern gerissen. Der erstickende Duft von schwerem Herrenparfüm. Ein süßlicher Gestank. Eigentlich roch es mehr wie eine Art Insektenvertilgungsmittel.
Per
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