Schwarze Schmetterlinge
Gesichtszüge auf, ehe die Kontrolle wieder Überhand gewann.
»Mit Ihrer ganzen Kraft haben Sie die Erinnerungen verdrängt, um in Ihrem Leben, in Ihrer Geschäftsrolle funktionieren zu können. Sie versehen Ihre Arbeit vorbildlich. Sie sind sorgfältig und tüchtig. Aber in sich tragen Sie die Katastrophe. Gibt es jemanden, dem Sie sich anvertrauen würden? Jemanden, der Ihnen helfen kann? Sie müssen Hilfe suchen, wo immer Sie sie auch bekommen können, und es eilt.«
Auf Madame Elaines Wangen traten rote Flecken, die Röte breitete sich über den ganzen Hals aus, und die Worte sprudelten über ihre Lippen, um die Bilder zu vermitteln, die in immer schnellerem Tempo auf sie eindrangen.
»Ein Mann ist in Ihr Leben getreten. Der König der Kelche. Vielleicht ist er Geschäftsmann, nein, eher Jurist, jedenfalls etwas, was mit dem Gesetz zu tun hat. Er ist gerecht, großzügig und fürsorglich. Mein Rat ist, dass Sie sich ihm anvertrauen. Ich glaube, er ist stark genug, die Wahrheit zu hören.«
»Und die Zukunft? Was sehen Sie in der Zukunft?«
»Eine Konfrontation. Sie begegnen Ihrer Vergangenheit. Diese Karte hier heißt der König der Schwerter. Das ist ein Mann mit brillanter Intelligenz, aber ohne Fähigkeit zur Empathie. Er hat eine hohe Position in der Gesellschaft. Ich würde meinen, er ist Arzt. Nein, etwas noch Höheres. Was ist? Wie geht es Ihnen?«
»Geht schon, danke.«
»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen? Vielleicht etwas Tee?«
»Nein danke, es ist in Ordnung. Wann werde ich ihm begegnen?«
»Bald. Sehr bald. Aber ich bitte Sie, alle Hilfe anzunehmen, die Sie bekommen können. Es gibt eine Gerechtigkeit. Glauben Sie mir. Sie können von unerwarteter Seite Hilfe bekommen, wenn Sie es nur zulassen.«
»Es hat noch nie eine andere Gerechtigkeit gegeben als die, die man sich nimmt.« Pyret begegnete dem Blick des Mediums mit plötzlicher Aggressivität.
»Es liegt eine ewige Gerechtigkeit darin, sich immer wieder selbst zu begegnen und die Konsequenz aus seinen eigenen Taten anzunehmen. Sie werden ernten, was Sie selbst gesät haben. Er wird zur Konfrontation mit der Wahrheit gezwungen sein und seinen Fehler erkennen, wenn Sie ihm das zugestehen. Darin liegt die Gerechtigkeit. Ich kann mir vorstellen, dass Sie diesmal auf die Erde gekommen sind, um Vergebung zu lernen.«
»Ich glaube nicht an Reinkarnation und solchen Unsinn. Dreihundert sollte es kosten, oder?«
Das Geld wurde auf den Tisch geworfen. Die Stuhlbeine scharrten über den Boden, als sie sich erhob.
»Auch wenn Ihre Kindheit eine Hölle war, tragen Sie die Verantwortung für Ihre Zukunft …«
Doch da schlug die Haustür schon zu.
Nachdem die Frau das Haus verlassen hatte, blieb Madame Elaine in tiefer Ohnmacht sitzen. Ihr Körper zitterte vor Erschöpfung, und der schwere, unregelmäßige Schlag ihres Herzens presste den Brustkorb zusammen und machte es ihr unmöglich, tief Atem zu holen. Sie empfing niemanden des Geldes wegen. Sie war finanziell unabhängig und nahm nur eine symbolische Summe. Sie wollte helfen. Wenn man eine Fähigkeit besitzt, dann ist man verpflichtet, sie nicht zu missbrauchen, sondern sie in den Dienst der Mitmenschen zu stellen. Ganz gleich, mit welcher Gabe einen das Leben beschenkt hat.
Die mediale Fähigkeit war mit der Musikalität zu vergleichen, dachte Elaine. Wie beschreibt ein Mensch mit absolutem Gehör seine Fähigkeit jemandem, der stocktaub ist? Ein Chorleiter kann seine Position missbrauchen. Anstatt den Chor zu musikalischen Höhen zu erheben, benutzt er seine Kraft vielleicht, um Frauen flachzulegen. Das kommt in den besten Kreisen vor. Ich werde alt und zynisch, dachte Elaine. Alt und müde in meiner Seele, und der Körper kann auch nicht mehr, wie ich will.
Vielleicht war das die stärkste Empfindung. Ein Gefühl, dass der Tod nicht mehr allzu entfernt war. War es schon bald an der Zeit? War die Begegnung mit der schwarz gekleideten Frau der Anfang vom Ende? Hatte sie deshalb solch eine Angst im Herzen, solch eine Unruhe in den Gedanken empfunden? Aber sie hatte auch eine Erleichterung gespürt. Seit der misslungenen Operation im rechten Bein mit ständigen Schmerzen als Folge, hatte eine unbestimmte Todessehnsucht in ihr Gestalt angenommen.
Durch das Wohnzimmerfenster sah sie den neuen Mercedes vor der Tür stehen. Ihr Mann war gekommen, um sie abzuholen. Die Wohnung in Varberga war ein Kompromiss. Bei
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