Schwarze Schmetterlinge
wie die Fahrstuhltüren auf und zu gingen, dann hielt sie inne. Es roch nach Rauch. Zunächst schwach und dann immer stärker, je weiter sie den Gang hinunterkam. Hatte der Patient aus der 11 wieder heimlich auf dem Zimmer geraucht? Erst letzte Nacht hatte sie ein ernstes Gespräch mit dem verwirrten alten Mann über die Gefahren geführt. Sie hatte sogar sein Feuerzeug konfisziert. Es war allerdings nicht klar, wie viel er von solch einem Gespräch noch behielt. Gegen seine Zigarettensucht hatte er ein Nikotinpflaster bekommen. Die Frage war nur, ob das genügte. Doch in seinem Zimmer roch es nicht nach Zigarettenrauch. Der Patient schlief. Draußen im Flur war der Geruch deutlicher zu vernehmen. Was brannte denn da?
Als Elinor die Tür zum Putzraum öffnete, kam der Rauch ihr beißend und schwarz entgegen. Schnell schloss sie die Tür wieder und öffnete die Brandschutztür zum Treppenhaus. Von der Notaufnahme unten hörte man Schreie und aufgeregte Stimmen. Sie ging schnell zum Telefon. Die Nummer der Zentrale war besetzt. Elinor informierte ihre Kolleginnen. Ein Brand in der Nacht ist die reinste Albtraumsituation. Eine übermenschliche Aufgabe, zu dritt die ganzen Patienten an den schweren Apparaten die Treppen hinunterzuschaffen, wenn die Fahrstühle abgeschaltet werden. Wen rettet man zuerst? Sollte man Patienten mit Knochenmetastasen überhaupt auf diese Weise transportieren?
Inzwischen war der Rauch auch im Schwesternzimmer zu riechen. Mehrere Patienten hatten ihn bemerkt und den Notruf ausgelöst. Unruhe verbreitete sich. Die Krankenschwestern versuchten, die Patienten dazu zu bringen, in ihren Zimmern zu bleiben und die Türen zum Flur geschlossen zu halten. Die Patientin Astrid in Zimmer 22 schrie vor Panik, und eine Schwester versuchte, sie zu beruhigen.
Elinor wählte wieder die Nummer der Zentrale. Immer noch besetzt. Sie rannte in den Flur und drückte den Alarmknopf am Feuermelder. Astrid hatte einen schweren Asthmaanfall, und Elinor musste erst mal ihre Versuche aufgeben, die Zentrale zu erreichen. Der verwirrte Alte von Zimmer 11 kam nur in Netzunterhosen in den Flur hinaus. Er hatte seine Sauerstoffmaske verloren und war sehr kurzatmig. Der Lungenkrebspatient in Zimmer 33 hatte einen Schmerzdurchbruch und brauchte umgehend eine Morphiuminjektion. Der nächste Versuch, die Zentrale zu erreichen, gelang. Elinor erfuhr, dass es in der Notaufnahme brannte. Die Feuerwehr sei unterwegs, hieß es, und die Patienten aus der Notaufnahme würden auf den Hof evakuiert.
Die Situation war ernst. Elinor begann, die Patienten, die vom Sauerstoff abhängig waren, auf Sauerstoffflaschen umzukoppeln, damit sie notfalls in die psychiatrische Abteilung im Haus nebenan verbracht werden konnten. Der Essenswagen, Rollstühle und ein zusätzliches Bett wurden weggerollt, damit die Wege frei waren. Die Patienten wurden durchgezählt, und Elinor bemerkte, dass Loffe fehlte. Im besten Fall befand er sich immer noch draußen.
Sie lief ins Treppenhaus zu den Fahrstühlen, doch die waren abgeschlossen. Der Rauch war durchdringend. Sie rief nach Loffe und atmete dabei durch den Ärmel ihrer Jacke. Keine Antwort. Sie lief die Treppe zum unteren Stockwerk hinunter. Ein schwaches Klopfen aus dem verschlossenen Fahrstuhl zeigte, dass jemand da drin sein musste. Sie versuchte, ihn zu öffnen, aber vergeblich.
»Ich werde Hilfe holen!«, rief sie. Der Rauch im Treppenhaus ließ ihre Augen tränen. Jetzt war es ernst. Wenn das Feuer auf den Sauerstoffvorrat übergriff, dann war die Sache gelaufen. Überhitzte Sauerstoffflaschen können sich in veritable Bomben verwandeln. Nach so einem Knall würde kein Stein mehr auf dem andern liegen. Elinor sah alles wie im Nebel und tastete sich zurück auf ihre Station, während sie den verbotenen Gedanken, einfach davonzulaufen und ihr eigenes Leben zu retten, beiseiteschob. Sie dachte an ihre Kinder.
Um 1.32 Uhr erreichte der Notruf aus dem Universitätskrankenhaus die Notrufzentrale. Inzwischen war von allen Etagen des Hauses Rauchgeruch an die Zentrale gemeldet worden. Man wusste, dass eine Krankenschwester schwer verletzt worden war. Es hieß, das Feuer sei wie eine Lohe aus dem Wäscheschacht aufgeschlagen, und man befürchtete, dass sie den heißen Rauch eingeatmet hatte.
In der Notaufnahme herrschte Chaos. Der Rauch breitete sich schnell aus. Ein mutiger Krankenwagenfahrer kroch über den Fußboden, um die Krankenschwester zu holen, die vor dem
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