Schwarze Schmetterlinge
laut.
Eines der Schattengesichter entdeckte das Mädchen, das hinter dem Himbeergestrüpp kauerte. »Komm her, Mädel, dann zeigen wir dir was.«
In der Woche zuvor, als sie in der Vorschule über Haustiere sprechen sollten, hatte Pyret eine winzig kleine Krabbe dabeigehabt. Sie war geschält und ein wenig ausgeblichen. Die Krabbe hatte einsam in einer Pfütze von Erbrochenem gelegen, bis Pyret sie vom Fußboden aufgehoben hatte. In Toilettenpapier eingewickelt, war die seltsame Krabbe von Hand zu Hand gewandert, als sie im Stuhlkreis saßen. Die Erzieherin hatte gesagt, dass man Gegenstände von zu Hause mitbringen dürfe, um sie der Gruppe zu zeigen und etwas darüber zu erzählen. »Die Krabbe ist noch ganz, obwohl meine Mama sie rausgewürgt hat.« Das hatte Pyret nicht ohne Stolz gesagt.
Genauso verhielt es sich mit den Pfifferlingen, die jetzt gerade in einer Pfütze auf dem Fußboden lagen. Die waren erstaunlich ganz dafür, dass sie schon im Bauch gewesen waren, stellte Pyret fest. Von Brot und Kartoffeln blieb immer nur Brei, aber die Pfifferlinge schafften es völlig ganz wieder heraus. Vier der Pilze trugen sogar noch ihren Hut.
Pyret kroch zu Mama ins Bett und fand das Feuerzeug, das ihr aus der Hand gefallen war. Es war klebrig und blau, und Pyret brauchte ein wenig Zeit und Übung, um eine Flamme zu erzeugen. Man musste einen starken und schnellen Daumen haben. Pyret konzentrierte sich. Die kleine gelbe Zunge verrußte den Bettpfosten. Man konnte damit Figuren malen. Eine Schlange, die sich zur Bettdecke herunterließ, Sterne und ein Z wie in Zorro. Das Feuer roch warm und gemütlich, fast wie zu Weihnachten.
Mama wälzte sich herum und richtete sich auf. Sie tappte in das Erbrochene und stolperte zum Korb hinüber, in dem der kleine Bruder lag. Der zerknitterte Rock klebte an den Oberschenkeln, als sie sich herabbeugte und ihm über den flaumigen Kopf strich. Meine Mama, nur meine Mama! Rühr ihn nicht an, deine Hände dürfen ihn nicht anrühren, die gehören nur mir! Pyret versuchte, sich zwischen sie zu drängen.
»Lass mich in Ruhe, ich kann nicht.«
»Mama, ich bin hungrig.«
»Lass mich los! Es geht mir schlecht, verdammt noch mal. Das siehst du doch!« Sie kroch wieder ins Bett und schluchzte laut, während Pyret ihr mit der Hand über die schweißnasse Stirn strich. Mama würgte und weinte im Schlaf.
In der Dunkelheit war die kleine Feuerzunge deutlicher zu sehen. Pyret zündete die Kerze an, die in der Weinflasche auf dem Küchentisch stand, und hob sie mit beiden Händen hoch. Wie eine Lucia schritt sie mit dem Kerzenständer auf dem Kopf durch den Raum. Sie war die Lichterkönigin – die Herrscherin über das Feuer.
Die Uhr über dem Küchentisch tickte. Als die Flamme näher kam, konnte man sehen, dass auf den Zeigern Staub lag. Auf dem unteren Rand lag eine tote Fliege. Das Feuer musste nur kurz an sie rühren, schon war sie nicht mehr als eine kleine goldgraue Flamme.
Im dreiteiligen Badezimmerspiegel konnte sie sehen, wie sich das Licht vervielfachte. Wenn sie sich an der richtigen Stelle befand, konnte sie acht Lichter und sieben identische Gesichter sehen. Ihre Augen glänzten, und in den Pupillen blitzten kleine gelbe Messer aus Feuer auf. Die acht Kinder trugen das Licht in ihren Händen und stellten sich mitten ins Zimmer.
Später wusste sie nicht, welches von ihnen angefangen hatte, und als sie der Polizei und der Frau von der Zeitung erzählen sollte, was passiert war, wusste sie es auch nicht. Eines der Spiegelkinder ließ das Feuer an der Gardine lecken. Die Flamme sog die ganze schmutzige Tüllgardine auf einmal in sich hinein, so hungrig war sie. Die getrockneten Butterblumen, die in einem blassen Strauß an der Wand hingen, wurden zu einer Feuerquaste. Sie sprühten und knisterten, ehe sie verkohlt zu Boden fielen. Knusper, knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?
Der Zeitungsstapel auf dem Hocker neben dem Klo fing Feuer. Eines der acht Kerzenträgerkinder kitzelte den kleinen Bruder so lange unter den Fußsohlen, bis er schrie und Rauch aus der Bettdecke kam. Das geschah ihm nur recht. Das kleine Dreckstück hatte schließlich alles kaputt gemacht. Hatte ihr Mamas liebe Hände weggenommen. Mamas Schoß mit den Umarmungen und den lachenden Augen und den Küssen. Wenn man das Feuer an den unteren Rand der Decke hielt, schmolz sie wie Eis im Sonnenschein.
Das Feuer hinterließ einen
Weitere Kostenlose Bücher