Schwarze Schmetterlinge
spürte, wie sich deren Kälte über seine eigene Haut durch seinen ganzen Körper fortsetzte. Lungenkrebs. Beide Lungenflügel. Die Schmerzen ließen sich lindern, aber der Krebs sei nicht zu heilen. Die Stimmen kamen und gingen. Wie viel Zeit ihm noch bliebe? Das wisse man nicht. So etwas könne man nicht genau sagen. Jahre? Nein. Ein Jahr? Kaum. Ein halbes Jahr? Nicht anzunehmen.
»Ein paar Monate, würde ich sagen. Aber das weiß man natürlich nicht mit Sicherheit. Es sind auch schon Wunder geschehen.« Der Arzt gab ihnen die Hand und entfernte sich zu seinem nächsten Termin. Die Schwester blieb noch eine Weile, um ihre Fragen zu beantworten.
Auf der Fahrt nach Hause saßen sie schweigend im Auto, jeder in seine Gedanken versunken. Pernilla kaute an den Fingernägeln. Unter anderen Umständen hätte Per über ihr Schweigen nachgegrübelt. Jetzt hatte er genug mit sich selbst zu tun. Kilometer um Kilometer regennasser Straße. Der Sonnenuntergang in Tiefrosa, Gold und Violett war dramatisch. Die Bäume wischten als leuchtend gelbe Gebilde vorbei. Hellgrüne Herbstsaat wechselte sich mit Weideland und gelbbraunen Äckern ab. Der Verkehr wurde unscharf. Er merkte, dass er weinte, und rieb sich die Augen mit dem Ärmel. Pernilla starrte durch die Scheibe und konzentrierte sich auf das Fahren. Per schaltete das Radio ein.
»Für die Polizei ist es immer noch ein Rätsel, wer das Feuer verursacht hat, das in der Nacht zum Dienstag in einem Desinfektionsraum des Universitätskrankenhauses in Örebro ausgebrochen ist. Es besteht kein Zweifel, dass man es mit Brandstiftung zu tun hat. Die Untersuchungen am Brandort weisen darauf hin, dass ein Mittel verwendet wurde, das den Verlauf des Brandes beschleunigt hat. Am selben Abend um 23.32 Uhr erhielt die Polizei einen anonymen Hinweis auf eine Vergewaltigung im Stadtpark. Man ist jetzt sehr daran interessiert, Kontakt zu der Frau aufzunehmen, die den Überfall der Polizei gemeldet hat.«
»Warum?«, fragte Pernilla.
»Darf ich nicht sagen.«
»Aber ich bin doch deine Schwester, verdammt. Du kannst mir alles erzählen. Ich halte den Mund. Vertraust du mir nicht?«
»Doch, aber was meinen Job betrifft, habe ich einfach nicht das Recht, irgendetwas zu erzählen, nicht einmal dir. Und das werde ich auch nicht tun.«
»Ganz schön gemein. Weißt du was? Ich glaube, Svenne ist verliebt.«
»Wieso glaubst du das?« Im Grunde fiel es Per nicht schwer, sich das vorzustellen. Er war nicht einmal wirklich erstaunt.
»Er wirkt so fröhlich.« Pernilla biss sich auf die Fingerknöchel und starrte dann auf ihre abgekauten Nägel. »Eigentlich ist es mir egal. Wir haben nie irgendeine Sexbeziehung gehabt. Anfangs haben wir es probiert, aber das war nur peinlich. Mir ist egal, was er macht, wenn er nur die Miete zahlt und das Auto betankt.«
14
Müde von der Reise warf sich Per aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. In den Lokalnachrichten wurde dieselbe Reportage über den Brand gebracht, die schon am Morgen gelaufen war. Man spekulierte im Studio über Terroranschläge und extreme politische Gruppierungen, zeigte dann einen Rückblick auf den Brand in Örebro 1854, in dessen Folge ein Drittel der Stadtbevölkerung ohne Wohnung dagestanden hatte, und blies das Ganze mit Interviews auf. Er zappte zum Discovery Channel rüber, wo ein Bericht über Krankheiten kam, die man nachweisen konnte, indem man die Beinknochen ägyptischer Mumien untersuchte, und Per wollte gerade in die Küchenecke gehen und Kaffee aufsetzen, als das Telefon unerwartet klingelte.
»Hallo, ich bin’s. Bella.« Er verspürte einen leichten Schwindel. »Du hast lange nichts von dir hören lassen. Ist was passiert? Weißt du, ich habe Mama von uns erzählt, und sie hat sich so gefreut. Meine Eltern würden dich gern kennenlernen. Sie haben uns kommendes Wochenende zum Essen eingeladen. Was meinst du? Warum bist du so still? Sag doch was, Per!«
»Bella, du bist eine nette Frau, und du bist wirklich liebenswert, aber …«
»Das wäre nächsten Samstagabend um sieben. Es ist ein Verwandtentreffen. Ich weiß überhaupt nicht, was ich anziehen soll. Bist du eigentlich gerade zu Hause? Weißt du, Papa hat was von einer echt schönen Wohnung gehört, drei Zimmer mit Blick über den Fluss. Er würde sicher auch was dazuschießen …«
»Bella, hör mir mal zu. Ich will nicht, dass wir uns wiedersehen. Wir haben einander einen Moment
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