Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
das, was passiert war, und der Laden war ein schöner Austauschort dafür. Sie gab die Waren ein, als Emil etwas Wichtiges einfiel. Er stapfte wieder zwischen den Regalen hindurch und kam mit einer Tüte Erdnüsse zurückgewatschelt. Die Kassiererin rümpfte bei diesem Anblick die Nase, denn es waren Nüsse mit Schalen, und sie konnte nicht begreifen, wie jemand Erdnüsse essen mochte, die nicht geschält und gesalzen waren. Emil kaufte immer Erdnüsse mit Schalen. Der ist heute aber mürrisch, dachte sie. Er redete ja nie, aber er ließ sich immer Zeit, als sei der Einkauf wichtig, ein liebgewordenes Ritual. Jetzt bezahlte er eilig, seine Finger zitterten ein wenig, als er in seiner Brieftasche nach Münzen suchte. Er steckte die Waren in seinen alten Rucksack. Dann ging er, ohne zum Gruß seine Mütze anzutippen. Sie konnte durch das Fenster sehen, wie er auf sein Moped stieg. Wie abwesend er heute war, dachte sie und staunte zugleich, denn der Mann hatte ja noch nie ein Wort zu ihr gesagt. Emil ließ den Motor an. Wieder behielt er sein gleichmäßiges Tempo bei, als er in Richtung Trabrennbahn fuhr. Als er sich Lailas Kiosk näherte, entdeckte er einen Streifenwagen und zwei Beamte. Emil war angespannt wie eine Stahlfeder. Er umklammerte den Lenker und starrte demonstrativ vor sich hin. Ein Polizist schaute auf und entdeckte das seltsame Fahrzeug. Emil hatte nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, brachte aber allen Uniformierten tiefen Respekt entgegen. Sein Fahrzeug war außerdem in einer solchen Verfassung, daß es in die Werkstatt gehört hätte, aber er bezog eine Rente und konnte sich das nicht leisten. Er hatte oft gedacht, daß wohl irgendwer demnächst die Zange zücken und die Nummernschilder entfernen würde. Glücklicherweise hatten diese Polizisten andere Sorgen. Sie suchten diese Ida. Das wußte er und konzentrierte sich also, um sie nicht zu stören. Er fuhr an ihnen vorbei, starrte noch immer vor sich hin, spürte aber, daß er beobachtet wurde. Dann bog er nach rechts ab. Nach wenigen Minuten bog er dann nach links ab und erreichte den Brennerivei 12, wo er wohnte. Er hielt und breitete die schwarze Plane über das Dreirad. Seine Garage war mit Schrott gefüllt, für das Rad war dort kein Platz mehr. Er schloß die Haustür auf. In der Küche blieb er stehen und lauschte. Aufmerksam wie eine Katze, alle Sinne in Alarmbereitschaft. Er stellte den Rucksack auf den Tisch und fischte seine Einkäufe heraus. Öffnete die Tüte mit den Erdnüssen und ließ einige in seine Hand rieseln. Ging langsam ins Wohnzimmer. Die Schlafzimmertür war angelehnt. Er lugte hinüber, blieb stehen und atmete schwer. Die Erdnüsse in seiner Faust wurden feucht. Am Ende trat er ans Fenster. Dort hatte Emil einen Käfig aufgestellt, und auf einem Stöckchen saß ein grauer Papagei von der Größe einer Taube. Jetzt gab er einen schönen, tiefen Ton von sich, um sich die Erdnüsse zu verdienen. Emil schob den Finger durch die Gitterstäbe und legte die Nüsse in den Freßnapf. Der Vogel sprang sofort nach unten, schnappte sich mit der Kralle eine Nuß und schlug den Schnabel hinein. Ein trockenes Knacken war zu hören, als die Schale zerbrach. Dann schellte das Telefon.
Es war die Mutter.
»Ja«, sagte sie. »Morgen und übermorgen hab ich zu tun, und da komm ich heute zum Saubermachen.«
Emil fing an zu kauen. Aber sein Mund war ja leer.
»Ich kann nicht so lange bleiben«, sagte die Mutter jetzt. »Heute abend trifft sich das Nähkränzchen bei Tulla, und das letzte Mal habe ich verpaßt, deshalb will ich heute unbedingt dabei sein. Ich kann eine Waschmaschine für dich laufen lassen, aufhängen kannst du dann selber. Das schaffst du doch, nicht wahr? Du darfst nur nicht vergessen, die Sachen vor dem Aufhängen glattzustreichen, sonst sehen sie so zerknittert aus. Und Bügeln ist ja nicht gerade deine Stärke. Ich wisch erst mal kurz bei mir durch, und dann bin ich so ungefähr in einer Stunde bei dir.«
»Nein«, sagte Emil erschrocken.
Er stellte sich seine Mutter wie eine Putzmaschine vor, die jetzt in alle Räume eindringen wollte. Er sah platschendes Wasser, schäumende Seife und das sich langsam rötende Gesicht der Mutter. Er nahm den scharfen Ajaxgeruch wahr, das Unbehagen, das von ihrem üblichen Platz verschobene Möbel ausstrahlen, frische Luft, die durch die Fenster strömte, weil die Mutter sie aufriß, den fremden Geruch der frischen Bettwäsche, er sah…
»Du weißt, daß das sein muß«, beharrte
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