Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
den Grund von Helgas Scheidung sagen?« fragte Sejer.
Ruth sah ihn aus großen Augen an. »Warum wollen Sie das wissen?« fragte sie erstaunt.
Er lächelte kurz.
»Das weiß ich eigentlich auch nicht. Aber ich stelle eben viele Fragen.«
Er sagte das so schlicht, mit gesenktem Blick, als mache es ihm zu schaffen. Und sie wollte ihm gern helfen.
»Aber die Scheidung hat doch nichts mit Idas Verschwinden zu tun?« fragte sie unsicher.
Sejer sah sie an.
»Das glauben wir auch nicht. Ich bin nur neugierig. Fällt es Ihnen schwer, darüber zu sprechen?«
Sie zögerte. »Naja, ich weiß nicht so recht.«
Sie legte die Hände auf die Tischplatte, wie um ihm zu zeigen, daß sie im übertragenen Sinn sauber waren.
»Also«, sagte er. »Können Sie etwas über die Trennung von Helga und Anders Joner sagen? Sie sind ihre Schwester. Sie stehen einander nah.«
Sie nickte, ohne ihn anzusehen. »Ich weiß ja nun auch nicht alles«, sagte sie ausweichend. »Aber es war wohl eine Frauengeschichte. Anders hatte einen Seitensprung gemacht, und das konnte Helga nicht ertragen. Sie hat ihn vor die Tür gesetzt. Anders ist zehn Jahre jünger als Helga«, fügte sie hinzu. »Und Sie dürfen das nicht falsch verstehen. Anders ist ein anständiger Mann, er ist wirklich kein Schürzenjäger. Aber dieses eine Mal ist es eben passiert, und damit wurde Helga nicht fertig. Sie ist so, ja, wie soll ich sagen, sie ist immer so total. Kompromißlos eben.«
»Hat sie irgendwelche Einzelheiten genannt?«
Ruth wandte sich ab und starrte dann die Vorhangstange über dem Fenster an. »Ja, das schon. Aber das kann ich wirklich nicht erzählen. Und die Einzelheiten würden Ihnen auch nicht weiterhelfen.«
Er nickte verständnisvoll.
»Helga sagt, daß Ida an Ihnen und Ihrem Mann hängt, an Sverre?«
Wieder sah Ruth Ida vor sich, ein kurzes, funkelndes Bild eines lebendigen Mädchens, hier in ihrer eigenen Küche. Dann kniff sie die Augen zusammen, und das Bild war verschwunden.
»Wir waren an ihre Besuche gewöhnt«, nickte sie. »Es ist so still jetzt, ohne sie. Sie ist ein Kind, das viel Aufhebens um sich macht. Sie hat noch andere Tanten und Onkel, aber die besucht sie nie.«
»Hat sie dafür einen bestimmten Grund?« fragte Sejer vorsichtig.
»Das hat sich wohl einfach so ergeben. Anders’ Brüder haben sich nie weiter für Helga und Ida interessiert. Sie haben wohl genug andere Sorgen. Oder vielleicht gibt es einfach keine Gemeinsamkeiten. Sie wohnen auch weiter weg als wir.«
»Sind Sie berufstätig?« fragte er jetzt.
»Ich helfe in der Schule von Glassverket aus«, sagte sie. »Bei Krankheitsfällen und solchen Dingen. Ansonsten bin ich zu Hause.«
»Ihre Tochter Marion, wie alt ist die?«
»Zwölf«, sagte Ruth. »Sie geht in die siebte Klasse. Sie ist viel mit Ida zusammen. Das hier ist sehr schwer für sie, ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Aber sie liest ja die Zeitung und sieht fern. Ich kann sie mit der Sache also auch nicht verschonen.«
»Sie können Ihr doch gar nichts sagen«, meinte er. »Wir wissen nicht, was passiert ist.«
Wieder stutzte sie über die neutrale Weise, in der er sich ausdrückte, denn sie war ziemlich sicher, daß Ida tot war. Nicht einfach nur tot, sondern vielleicht war sie auch einen grauenhaften Tod gestorben. Den allerschlimmsten. Den voll Angst und Schmerzen, die jegliche Vorstellung überschritten.
»Was ist mit Ihrem Sohn Tom Erik?« fragte Sejer.
Als er den Sohn erwähnte, runzelte sie die Stirn. »Ja, was soll mit ihm sein?« fragte sie.
»Wie wird er mit der Sache fertig?«
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf.
»Schlecht«, gab sie zu. »Er ist keiner, der viel über seine Angelegenheiten redet. Marion und ich versuchen das ja immerhin. Tomme hat sich gestern an der Suchaktion beteiligt und fand es schrecklich. Ich muß zugeben, daß ich ihn oft für einen ziemlich egoistischen Jungen gehalten habe. Für einen, der nur an sich denkt. Vor kurzem hat er sich eine Beule ins Auto gefahren«, sie lächelte. »Und seine Wut darüber kannte einfach keine Grenzen. Er hat den Wagen erst seit drei Wochen«, fügte sie hinzu. »Und da stand ich dann. Mit dieser schrecklichen Geschichte. Das hat ihm doch zu denken gegeben«, endete sie. Sie hatte sich in Hitze geredet, ihre Wangen waren rot.
»Arbeitet er?« erkundigte Sejer sich.
»Er ist im letzten Schuljahr. Er lernt nicht so gern, eine besondere Ausbildung wird er also kaum machen. Er wünscht sich einen bezahlten Job, und
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