Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
seine Mutter. »Darüber haben wir ja schon geredet.«
Ihre Stimme fing an zu zittern. Emil hauchte rasch in den Hörer, wollte nicht hören, was sie jetzt sagen würde.
»Hast du heute etwas gegessen?« fragte seine Mutter. Sie kümmerte sich wirklich um ihn, das war immer schon so gewesen. »Du bist so schlampig, was deine Ernährung angeht. Hast du schon mal was von Obst und Gemüse gehört? Ich habe den Verdacht, daß du nur Brot ißt, aber der Körper braucht noch mehr. Du solltest dir so ein Vitaminpräparat zulegen und es im Herbst und im Winter nehmen, Emil. Das bekommst du bei Møllers. Und sicher verkaufen sie das auch bei Joker oder können es für dich bestellen. Du mußt es nur wollen, ein bißchen Verantwortung für dich selbst mußt du einfach übernehmen«, setzte sie ihm zu.
Emil schaute rasch zur Schlafzimmertür hinüber. Danach sah er auf die Uhr.
»Hast du dich heute gewaschen?« fragte die Mutter. »Gott weiß, wie selten du dir die Haare wäschst. Und das machst du sicher auch nicht richtig, wenn du so über dem Waschbecken hängst. Und sonst?« dröhnte sie weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. »Ziehst du dich warm genug an, wenn du draußen herumgondelst? Jetzt kommt der Herbst, du mußt aufpassen, daß du keine Grippe bekommst. Wenn du im Bett liegen mußt, bist du aufgeschmissen, ich kann ja nicht jeden Tag bei dir hereinschauen. Ich habe auch so schon genug zu tun.«
Jetzt setzte sie dazu an, ihren Monolog abzuschließen.
»Du kannst schon mal die Möbel wegrücken. Die Läufer kannst du draußen über das Geländer hängen, damit ich rasch in Gang komme. Ich hoffe, der Wagen springt an«, sagte sie besorgt. »Gestern wollte er nicht so recht, vielleicht geht die Batterie langsam zu Ende. Hast du Putzmittel und alles, was ich brauche?«
»Nein!« sagte Emil. Wieder sah er seine Mutter vor sich, sie war jetzt ein Wind, ein Tornado, sie plapperte alle Gedanken in die Flucht, alle, die sie nicht zu denken wagte, sie schien sie vor sich herzufegen, schob sie mit Worten beiseite.
»Ich kann eine Flasche Ajax mitbringen«, sagte sie. »Irgendwann müssen wir mal deine Schränke durchgehen. Du vergißt ja doch immer alles. Wie oft war ich schon bei dir, ohne auf dem Klo Papier vorzufinden? Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft. Aber du bist doch trotz allem erwachsen. Naja, jetzt hör ich auf. Fang einfach an, ich bin bald bei dir.«
»Nein!« sagte Emil. Er sagte es immer lauter. Die Mutter hörte dieses Ansteigen der Stimme, denn das war ungewöhnlich. Er sagte immer nein, und er sagte es auf jede mögliche Weise, aber das hier war an der Grenze zu etwas Neuem. Zu einer Art Verzweiflung. Sie runzelte die Stirn und kniff den Mund zusammen. Sie wollte keine weiteren Probleme, nicht ein einziges mehr.
»Doch!« sagte sie.
Ruth steckte die Arme in den Mantel. Mitten in der Bewegung erstarrte sie, denn sie hatte eine Autotür gehört. Mit einem Arm im Mantel drückte sie auf die Türklinke und öffnete. Ein hochgewachsener, grauhaariger Mann kam über den Hofplatz. Ruth erkannte ihn sofort. Unten vor der Treppe blieb er stehen und machte eine Verbeugung, dann stieg er die letzten Stufen hoch. Sie zog den Mantel richtig an und gab ihm die Hand. Er war so groß, daß sie sich ihm gegenüber wie ein Kind vorkam. Fast hätte sie einen Knicks gemacht.
»Ich komme gerade von Helga«, sagte Sejer.
»Ich will jetzt hin«, sagte sie rasch.
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«
»Natürlich.«
Sie streifte den Mantel wieder ab. Ging vor ihm her in die Küche. Dort gab es eine Eckbank zum Sitzen, die mit Kissen belegt war.
»Was Ida betrifft«, sagte Ruth verzweifelt, »so gibt es wohl nicht viele Möglichkeiten, oder?« Sie starrte ihn aus verängstigten Augen an. »Helga hat die Hoffnung verloren«, klagte sie. »Ich weiß nicht, was aus uns werden soll, wenn das Allerschlimmste passiert ist. Das wäre das Ende für sie. Sie lebt nur für das Kind. Seit Anders ausgezogen ist.«
Sejer hörte zu, während Ruth redete. Weil sie Angst hatte, redete sie viel.
»Es ist nicht gut, mit einem Kind allein zu sein«, sagte sie traurig, sie lief in der Küche hin und her, tat sonst aber nichts. »Kinder dürfen nicht zuviel bedeuten, das ist eine zu schwere Last für sie. Was soll denn werden, wenn Ida älter wird und ausgehen will, ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie Helga dann reagieren wird.«
Sie riß die Augen auf, verwirrt von diesem Gedankensprung.
»Können Sie mir etwas über
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