Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
dann will er an seinem Auto herumbasteln und sich mit seinen Kumpels treffen. Er sitzt viel am Computer. Oder schaut sich Videos an. Ich habe ja auch nichts dagegen«, sagte sie. »Ich bin nicht so ehrgeizig, was meine Kinder angeht. Ich möchte nur, daß sie zufrieden sind.«
»Er hatte einen Autounfall«, sagte Sejer. »Am 1. September? Habe ich das richtig verstanden?«
»Ja«, sagte sie. »Er ist am frühen Abend losgefahren und erst nachts zurückgekommen. Er war ziemlich außer sich, der Arme. Sie wissen ja, Jungen und Autos. Aber ich glaube, ich habe ihm klarmachen können, daß eine Beule im Auto eine Bagatelle ist, im Vergleich dazu, was uns Menschen sonst noch passieren kann.«
»Sie haben vom frühen Abend gesprochen. Wissen Sie, wann genau das war?«
Sie runzelte die Stirn. »Kurz nach sechs. Er hat vom Flur her Bescheid gesagt. Und die Fernsehnachrichten hatten gerade angefangen, die sehe ich mir immer an.«
»Und wohin wollte er?«
»Er ist viel mit einem Jungen namens Bjørn zusammen. Ich glaube, den wollte er besuchen«, sagte sie. »Er wohnt in Frydenlund.«
»Dann werde ich mit ihm reden«, sagte Sejer. »Unterwegs kann er doch etwas gesehen haben. Ist er jetzt in der Schule?« fügte er hinzu.
»Nein«, sagte sie. »Heute ist er bei Willy. Das ist ein anderer Kumpel. Oder eher ein Ex-Kumpel. Von früher. Ich war nicht gerade begeistert von der Freundschaft, und das habe ich Tomme auch gesagt. Aber dieser Willy kennt sich mit Autos aus. Und jetzt wollen sie die Stelle mit der Beule ausbessern.«
Sejers Neugier war geweckt. »Warum waren Sie nicht gerade begeistert?«
»Willy ist vier Jahre älter«, sagte Ruth. »Er war wohl auch schon in Autodiebstähle und vielleicht noch Schlimmeres verwickelt. Und das gefällt mir alles nicht. Es ist jetzt schon lange her. Aber Tomme ist einfach so auf dieses Auto fixiert.«
»Ihr Mann, Sverre«, sagte Sejer. »Er ist beruflich viel unterwegs?«
»Jetzt ist er in Stavanger«, sagte sie. »Aber zum Wochenende kommt er nach Hause. Normalerweise habe ich nichts dagegen, daß er soviel verreist, wir brauchen nicht jeden Tag zusammenzuklucken, und die Kinder sind groß und kommen allein zurecht. Aber im Moment finde ich es hart. Nach allem, was passiert ist. Wir telefonieren jeden Abend.«
»Dieser Willy«, sagte Sejer. »Wohnt er hier in der Nähe?«
»Nein, weiter zum Zentrum hin. Willy Oterhals. Ich glaube, die Straße heißt Meierivei, sie haben ein großes gelbes Haus mit einer riesigen Garage. Er wohnt mit seiner Mutter zusammen.«
»Und er ist also vier Jahre älter. Arbeitet er vielleicht?«
»Er jobt in der Bowlinghalle. Jedenfalls hat er das früher gemacht. Ab und zu hilft er auch an der Tankstelle nebenan aus. Und da hat er Zugang zu Werkzeug, wissen Sie. Er ist kein ausgebildeter Mechaniker, aber irgendwas hat er dabei sicher gelernt.«
Ruth wunderte sich über dieses Interesse am Umgang ihres Sohnes. Sie schaute auf die Uhr und rief: »Ich muß machen, daß ich wegkomme. Helga wartet!«
»Ich habe Sie schon lange genug aufgehalten«, sagte Sejer. »Das hatte ich gar nicht vor.«
Dann machte er wieder seine kleine Verbeugung. Sein Auftreten ließ sie nicht unbeeindruckt. Alles an ihm war so ruhig und gelassen. Zusammen verließen sie das Haus. Ruth öffnete die Garagentür. Sejer schaute sich den weißen Volvo und den leeren Platz daneben an. Hinten an der Wand lehnten vier Reifen, vermutlich Winterreifen, die bald aufgezogen werden würden. Ein wenig Abfall, einige Dosen in einem Regal. Neben der Tür, wo er stand und sich umsah, lagen vier abgenutzte Gummimatten. Opel, dachte er. Der Sohn fährt einen Opel.
Warum habe ich soviel geredet? überlegte Ruth.
*
W ILLY O TERHALS SCHWITZTE . Eine Arbeitslampe baumelte von einem Dachbalken, und die Hitze der starken Birne ließ seinen Schädel brennen. Er hatte einen Großteil des Lacks mit dem Taschenmesser abgekratzt, und jetzt leuchtete das graue Metall hindurch. Ansonsten war der Schaden nicht so schlimm. Das Schwierigste würde am Ende das Lackieren sein. Willy war guten Mutes, aber er brauchte eine Pause. Er setzte sich auf die Bank an der Wand und steckte sich eine Zigarette an. Seine Augen lagen so tief, dass sie wie zwei schwarze Löcher in dem mageren Gesicht wirkten, wenn er den Kopf senkte. Sein Blick wanderte an der Garagenmauer entlang, fuhr über die Regale mit den Tüten mit Nägeln, den Büchsen mit Schrauben und Muttern, den Zündkerzen, dem Öl und dem Werkzeug jeder
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