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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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übersät war.
    »Jetzt machst du auf!« rief sie in den Hörer. »Dieses Spiel spiele ich nicht mit! Du hast es nur mir zu verdanken, daß du nicht in einem Heim wohnen mußt. Also hol diese Schweinerei aus dem Schlüsselloch. Ich fahre jetzt los. In fünf Minuten stehe ich auf der Treppe, und dann machst du auf.«
    »Nein!« schrie Emil.
    Er legte auf. Elsa blieb stehen und horchte auf die Stille. Dann lief sie zur Tür. Ihre soliden Laufschuhe knallten auf das Parkett. Sie mußte ihr Tempo beibehalten, durfte sich nicht hinsetzen und nachdenken. Nur handeln, handeln! Die Dinge hinter sich bringen, sagte ihre innere Stimme. Weiter, weiter, den ganzen Weg bis zum Ende, das wir allesamt erreichen müssen.
     
    In der Garage fand sie ein Stemmeisen. Und dann fuhr sie zurück zu Emils Haus. Jetzt stand sie gebückt auf der obersten Treppenstufe und hielt einen Hammer in der Hand. Sie schob das Stemmeisen in den Spalt zwischen Tür und Rahmen und schlug mit dem Hammer darauf ein. Elsa war stark, und das Holz war alt und trocken. Als das Eisen einige Zentimeter eingedrungen war, fing sie an zu drehen und zu biegen. Ihr Schweiß floß jetzt in Strömen. Sie dachte, daß die Nachbarn sie sehen könnten, und das machte ihr angst, aber sie konnte jetzt nicht aufhören. Sie hörte im Haus ihren Sohn, er lief hin und her und knallte mit den Türen. In ihrem Kopf dröhnte es. Plötzlich knackte der Türrahmen, und die Tür öffnete sich. Sie ließ das Stemmeisen los, und es landete mit hartem Klirren auf der Treppe. Dann ging sie hinein.
    Emil stand in der Küche, gerade aufgerichtet und mit hängenden Armen. Sie versuchte, seine Miene zu deuten, aber das gelang ihr nicht. Sie selbst schwieg. Das kam nicht oft vor. Lange blieben sie so stehen und starrten einander an.
    »Erklär mir, was das alles soll«, sagte sie, ungewöhnlich leise für ihre Verhältnisse.
    Emil kehrte ihr den Rücken zu. Er ging zum Küchentisch und holte die Tüte mit den Erdnüssen. Nahm eine heraus und brach sie in der Mitte durch. Blieb stehen und starrte den Nußkern an. Die Mutter trat einen Schritt vor. Sie riß ihm die Tüte aus der Hand und legte sie auf den Tisch.
    »Ich weiß, daß etwas passiert ist«, sagte sie, jetzt lauter. Sie drehte sich um und ging ins Wohnzimmer. Dort blieb sie verwirrt stehen.
    »Was ist denn das«, rief sie. »Du schläfst auf dem Sofa? Und du hast seit einer Ewigkeit nicht mehr gelüftet!«
    Ihre Augen irrten durch den Raum, und aus der bleichen Iris leuchtete tiefe Unsicherheit. »Das ist schrecklich«, sagte sie. »Du darfst die Essensreste nicht im Mülleimer liegenlassen, du mußt ihn jeden Tag ausleeren, es stinkt doch schon nach wenigen Stunden. Das habe ich dir so oft gesagt. Und es zieht die Fliegen an, wenn du dich nicht darum kümmerst. Und was macht der Vogel für einen Dreck! Du mußt einmal pro Tag unter dem Käfig staubsaugen. Und wann hast du die Zeitungen auf dem Käfigboden zuletzt gewechselt? Stinkt es deshalb so?«
    Dann starrte sie die Schlafzimmertür an. Wußte nicht, warum, aber eine gewaltige Angst trieb sie an. Auf diese Tür zu. Schritt für Schritt. Ihr Blick jagte immer wieder zu der Decke auf dem Sofa und zurück zur Schlafzimmertür. Emil folgte ihr mit irrlichternden Augen. Für einen Moment horchte sie an der Tür. Drinnen war nichts zu hören. Sie drückte auf die Klinke. Die Tür bewegte sich nicht. Wieder durchjagte sie ein Sturm von Angst. Und die wuchs noch an. Es war dieser Geruch, so durchdringend und seltsam, so widerlich süß. Sie verdrängte ihn und steigerte sich statt dessen in Wut. Lief aus dem Haus, holte von der Treppe das Stemmeisen, kam wieder herein. Emil drückte sich an die Wand. Auch er hatte Angst. Sie fing wieder an zu stemmen, zu hämmern und zu schlagen. Bei jedem Schlag bebte Emils schwerer Leib. Diese Tür ließ sich nicht so leicht aufbrechen wie die Haustür. Der Widerstand des Holzes trieb sie zum Wahnsinn. Emil zog den Kopf ein. Als die Tür endlich krachend aufsprang, schloß er die Augen und hielt sich die Ohren zu. Elsa Marie ging ins Zimmer hinein. Und dort blieb sie wie erstarrt stehen.
    *

D IE S UCHE NACH Ida Joner ging mit allen Kräften weiter. Sie würden sie bestimmt finden. Ein Kind konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen. Ein Kind wurde irgendwo hingelegt, ganz oder teilweise versteckt. Irgendwo in der Gegend, in der es wohnte. Sie erweiterten das Suchgebiet immer mehr, sie lasen die seltsamsten Dinge auf und verwahrten sie in

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